migranten italien unhcr 150Berlin. - Angesichts der Flüchtlingskatastrophe vor der Küste von Lampedusa hat MISEREOR die Bundesregierung und die Staatengemeinschaft der Europäischen Union zu mehr Menschlichkeit und Solidarität und zu einer anderen Einwanderungspolitik aufgerufen. Bei "christlich-sozialen" Politikern in Berlin und im Europäischen Parlament (EP) stößt das auf taube Ohren. Das EP segnete am Donnerstag die nächste Runde der Abschottung der Festung Europa ab. Angeblich dient "EUROSUR" aber nur dem besseren Informationsaustausch der Grenzwächter.

"MISEREOR steht an der Seite der Armen, Schwachen und Marginalisierten dieser Welt", sagte Monsignore Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des katholischen Entwicklungshilfswerks. "Den Flüchtlingen, die unter großen Risiken ihre Heimatländer verlassen, darf der Zugang zu dem Gebiet der Europäischen Union und zu einem Asylverfahren nicht verwehrt werden. Die gegenwärtige EU-Politik scheint eher von Abschottung und Abwehr geprägt zu sein."

Spiegel forderte die Europäer dazu auf, neue Modelle der Migrationspolitik umzusetzen, Möglichkeiten der Zuwanderung nicht nur für Fachkräfte und Hochqualifizierte zu schaffen und die Perspektive der Flüchtlinge selbst in den Blick zu nehmen. Der MISEREOR-Hauptgeschäftsführer warnte vor der Annahme, allein mit mehr Entwicklungshilfe könnten die Fluchtursachen insbesondere in Afrika beseitigt werden. "Zwischen dem Entwicklungsstand eines Landes und den dortigen Migrationsbestrebungen besteht nicht immer ein Zusammenhang. Menschen fliehen oft aus Kriegsgebieten oder vor repressiven diktatorischen Regimen. In Eritrea werden zum Beispiel Jugendliche lebenslang als Soldaten zwangsrekrutiert."

Darüber hinaus verursachten auch wirtschaftspolitische Entscheidungen in Europa Hunger und Not in ärmeren Staaten der Erde, wie etwa hochsubventionierte Agrarprodukte, die in Ländern Afrikas zu Lasten einheimischer Bauern und Händler mit Dumpingpreisen vermarktet würden, so Spiegel. Der MISEREOR-Hauptgeschäftsführer appellierte an die Europäer, Menschen, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft für sich und ihre Familien den Weg auf unseren Kontinent wagen, nicht als Illegale zu verdächtigen.

Die Zahl der offiziell für tot erklärten Flüchtlinge stieg unterdessen am Donnerstag auf 309 - unter ihnen ein Säugling, der noch mit der Nabelschnur mit seiner Mutter verbunden war, wie der "Guardian" unter Berufung auf italienische Taucher berichtete.

Passend zu dieser Nachricht: Der Justiz-Ausschuss des italienischen Senats billigte in der Nacht zum Donnerstag einen Gesetzeszusatz, der die illegale Einwanderung zu einem Verbrechen macht, das mit bis zu 10.000 Euro Strafe geahndet werden kann. Die 155 Überlebenden von Lampedusa sind somit Verbrecher - was Italiens Premier Enrico Letta bei seinem Besuch auf der Insel mit "tiefer Scham" erfüllte.

Das Europäische Parlament stimmte am Donnerstag dem Europäischen Grenzüberwachungssystem "Eurosur" zu, das offiziell dem besseren Informationsaustausch der EU-Grenzschützer dient.

Laut EP können können die EU-Staaten über das System Bilder und Daten von den EU-Außengrenzen in Echtzeit übertragen. "Eurosur ist ein Kommunikationsnetzwerk, das die Erkennung, Vermeidung und Bekämpfung der illegalen Einwanderung und grenzüberschreitenden Kriminalität verbessern soll. Die Abgeordneten haben darauf bestanden, dass es auch zur Rettung von Zuwanderern eingesetzt werden muss, wenn diese sich in Gefahr befinden", teilte das EP mit.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung des EP: "Das System muss auch die von der EU festgelegten Grundrechte einhalten sowie den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten. Jeder Austausch von personenbezogenen Daten via Eurosur muss eine Ausnahme bleiben und datenschutzrechtliche Bestimmungen einhalten. Zudem dürfen EU-Länder Eurosur nicht verwenden, um einem Drittland Informationen zu übermitteln, die dazu verwendet werden könnten, Personen ausfindig zu machen, deren Antrag auf internationalen Schutz noch geprüft wird oder die ernsthaft gefährdet sind, Opfer von Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe oder einer anderen Verletzung der Grundrechte zu werden."
 
Was von solchen Zusicherungen zu halten ist, wissen die EU-Bürger spätestens seit dem Bekanntwerden der Überwachungspraxis der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste. Eurosur dient der Optimierung der EU-Grenzschutzagentur Frontex: "Eurosur soll die Verwaltung der Außengrenzen der EU durch verstärkten Austausch von Informationen zwischen den europäischen Ländern und mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex verbessern. Das System würde die gemeinsame Nutzung von Daten aus verschiedenen Behörden und von Überwachungsinstrumenten wie Satelliten oder Schiffsmeldesystemen über ein geschütztes Kommunikationsnetz in Echtzeit ermöglichen."

Viele EU-Parlamentarier erhoffen sich von dem System, dass Flüchtlinge auf hoher See schneller entdeckt und somit besser geschützt werden können. SPIEGEL ONLINE bleibt da realistischer: "Die EU wird weiter aufrüsten und sich abschotten. Am Donnerstag hat das Europäische Parlament dem viele Millionen Euro teuren Eurosur-Programm zur Überwachung der Außengrenzen zugestimmt: Drohnen und Satelliten sollen Flüchtlinge schneller orten. Boote werden trotzdem in See stechen, Schlepper werden sich die schwächsten Punkt der Grenzsicherung suchen, Menschen werden sterben. Die Lager werden überfüllt bleiben. Und vor Asylbewerberheimen werden Rechtsextreme brüllen. So geht Europa mit Menschen in Not um. Das ist tatsächlich eine Schande."

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