Kiel. - Bestände wild lebender Fische können langfristig nicht durch den Ausbau von Aquakultur vor Überfischung geschützt werden. Wirtschaftliche Faktoren wie die weltweit steigende Nachfrage oder verbesserte Fangtechniken werden in Zukunft zu verstärktem Fischereidruck auf beliebte Speisefische führen. Zu diesem Ergebnis kommen Meeresforscher aus Kiel und Finnland in einer aktuellen Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift "Global Change Biology" online erschienen ist.
Wirtschaftswissenschaftler, Fischerei- und Evolutionsbiologen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), des GEOMAR Helmholtz- Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der finnischen Universität Helsinki haben im Rahmen eines interdisziplinären Projekts berechnet, wie sich Fischfang und Aquakultur bei beliebten Speisefischen wie Wolfsbarsch, Lachs, Kabeljau und Thunfisch in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden. Die vier zählen zu den wichtigsten Fischarten auf den nordamerikanischen und europäischen Märkten. Lachs und Wolfsbarsch kommen dabei vorwiegend aus der Fischzucht, Kabeljau und Thunfisch aus Wildfängen.
Im Fokus der Studie stand die Frage, wie sich der Zustand wild lebender Fischbestände bis zum Jahr 2048 und darüber entwickeln wird. Dabei berücksichtigten die Autoren nicht nur biologische Einflussfaktoren, sondern besonders wie sich die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung auf die Fischereien auswirken wird. Die Forscher simulierten dabei vor allem den technologischen Fortschritt in der Fischerei, die weltweit steigende Nachfrage nach Fisch und eine wachsende Versorgung mit Fisch aus Aquakulturen. Außerdem wurde das Wechselspiel dieser Faktoren in verschiedenen Szenarien mit begrenzter Wirksamkeit der Regulierung von Wild-Fischereien untersucht.
„Eine realistische Prognose über die Entwicklung wirtschaftlich wichtiger Wildfischbestände erhalten wir nur, wenn wir neben den biologischen besonders auch ökonomische Faktoren berücksichtigen. Das Ergebnis hat uns überrascht, die wirtschaftliche Entwicklung hat einen viel stärkeren Einfluss auf die Fischbestände als wir erwartet haben“, sagt Erstautor Professor Martin Quaas vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltige Fischerei im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“.
Steigende Aquakultur-Produktion kann die wild lebenden Fischbestände zwar entlasten, doch wird dieser positive Effekt voraussichtlich von einer größeren Nachfrage und technischem Fortschritt in der Fischereiwirtschaft überschattet werden – beides übt wachsenden Druck auf die Fischbestände aus. Unter den gegenwärtigen Bedingungen müsste die Aquakultur-Produktion jährlich um 15 bis 24 Prozent steigen, um die Bestände zu sichern – ein aus Sicht der Forscher utopischer Wert. Hinzu kommt das Problem, dass Fische aus Aquakulturzucht häufig mit wild gefangenen Fischen gefüttert werden. „Selbst wenn wir sehr optimistische Raten ansetzen würden und in der Fütterung die Anteile von pflanzlichem Protein erhöhen, würde der Fischereidruck auf Futterfischbestände enorm steigen und vermutlich deren Kollaps bewirken", so Co-Autor Thorsten Reusch vom GEOMAR Helmholtz- Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Eine nachhaltige Nutzung der wild lebenden Fischbestände könnte jedoch durch eine erhebliche Steigerung der Fischereimanagement-Effektivität weit über den heutigen Standard hinaus erreicht werden.
Um den Zusammenbruch der Fischbestände zu verhindern, sehen die Forscher daher die einzige Lösung in einem institutionellen Wandel, der die Wirksamkeit des Fischereimanagements für wildlebende Fischarten deutlich verbessert. Die jüngste Reform der gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union halten die Forscher für einen Schritt in die richtige Richtung. Im Zuge der 2013 beschlossenen Reform sollen beispielsweise mehrjährige Bewirtschaftungspläne für weitere Bestände eingeführt werden. Auch sollen in Zukunft strenge Auflagen für die Anlandung von Beifängen gelten. Dringenden Handlungsbedarf sehen die Forscher noch in der Hochseefischerei. Insbesondere müsse eine bessere internationale Koordination bei der Festlegung und Durchsetzung restriktiver Fangquoten erzielt werden.
Originalpublikation:
Quaas, Martin F., Reusch, Thorsten B. H., Schmidt, Jörn O., Tahvonen, Olli, Voss, Rudi:
It is the economy, stupid! Projecting the fate of fish populations using ecological–economic modeling. Global Change Biology (2015), doi: 10.1111/gcb.13060.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcb.13060/abstract
Foto: Kabeljau gehört zu den beliebtesten Speisefischen. Im Bild der junge Kabeljau, auch Dorsch genannt. © Catriona Clemmesen-Bockelmann, GEOMAR
Quelle: www.uni-kiel.de