sdg summit 2015Berlin. - Mit hohen Erwartungen, aber auch mit Skepsis blickt die Zivilgesellschaft auf die UN-Konferenz in New York (25. – 27. September), bei der die globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) verabschiedet werden sollen. 

"Die Millenniumsziele aus dem Jahr 2001 haben tatsächlich schon einiges für das Wohl von Kindern in den ärmsten Ländern erreicht", sagte Katrin Weidemann, Vorstandsvorsitzende der Kindernothilfe. "Doch noch immer leben 569 Millionen Mädchen und Jungen in extremer Armut, noch immer sterben jährlich sechs Millionen Kinder an vermeidbaren Krankheiten."

Die Zahlen bleiben kritisch: 85 Millionen Kinder müssen unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten, 57 Millionen können nicht zur Schule gehen. "Diese eklatanten Kindesrechtsverletzungen müssen weiter mit aller Kraft beseitigt werden", so Weidemann. "Um die Rechte von Kindern endlich weltweit umzusetzen, bieten die neuen Nachhaltigen Entwicklungsziele wichtige Anknüpfungspunkte." Die Kindernothilfe begrüßt, dass immerhin acht der 17 Nachhaltigkeitsziele die Lebenssituation von Kindern berücksichtigen. Die Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele sei damit auch ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von Fluchtursachen.

"Der Beschluss der neuen Weltziele kann zu einem historischen Meilenstein werden, wenn es gelingt, sie aus dem Elfenbeinturm politischer Deklarationen, von deren Existenz kaum jemand in der breiten Öffentlichkeit Notiz nimmt, herauszuholen," ist Jugend Eine Welt-Vorsitzender Reinhard Heiserer überzeugt.

"Die Agenda hat das Potenzial, die Ursachen von Flucht, wie wir sie gerade erleben, zu bekämpfen." Für Deutschland erwachse aus den Globalen Nachhaltigkeitszielen unter anderem die Aufgabe, seine Verantwortung über die Grenzen des Nationalstaates hinaus wahrzunehmen. "Wir müssen erkennen, dass unsere Gesellschaft mit in Fluchtursachen verwickelt ist - durch globale Handelsbeziehungen, Waffenlieferungen und einen Lebensstil, der die Ressourcen der Welt verbraucht", so Marlehn Thieme vom Nachhaltigkeitsrat.

Der Rat hatte der Bundesregierung bereits in seiner Stellungnahme vom Mai empfohlen, die Kernthemen, die aus den Globalen Nachhaltigkeitszielen entstehen, in die Nachhaltigkeitsstrategie zu überführen.

Das Deutsche UN Women Komitee hat Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgerufen die historische Chance zu nutzen sich für Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen. Deutschland und andere Staaten sollten Frauen mehr Möglichkeiten und Teilhabe bieten.

"Die Ansätze der Agenda 2030 sind richtig, gehen aber nicht weit genug. Nachhaltige Entwicklung kann nur über wirtschaftliche Kooperation, über Handel und Investitionen erreicht werden", erklärte Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft.

Auch die Wirtschaft sei ein Partner, lokal und international. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern auf dem afrikanischen Kontinent muss vorangetrieben werden. Ziel ist der Aufbau von Beschäftigung und lokaler Wertschöpfung. "Nur wenn es gelingt, auf dem Kontinent lokale Industrien aufzubauen, haben die Bevölkerungen Perspektiven. Ohne Perspektiven flüchten die Menschen aus ihrer Heimat - mit allen damit verbunden Problemen" warnte der Chef des Außenwirtschaftsverbandes.

Nach Angaben von ONE hängt das Erreichen der Globalen Ziele maßgeblich von ihrer Bekanntheit und dem Druck der Regierungen ab. ONE setzt sich zudem für mehr und bessere Daten ein und ist Gründungsmitglied der Globalen Partnerschaft für Entwicklungsdaten, die am 28. September in New York gestartet wird. ONE fordert mehr Investitionen für eine bessere Erhebung von Daten. Es werden jedes Jahr voraussichtlich mindestens 1 Milliarde US-Dollar benötigt, um die neue Agenda der Nachhaltigen Entwicklungsziele erfolgreich beobachten zu können. Neben der Stärkung von Frauen und Mädchen sei auch noch eine ausreichende Finanzierung. ONE kritisiert, dass Deutschland mit rund 0,4 Prozent noch weit davon entfernt ist, wie versprochen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden.

Die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch hat an den zweijährigen Konsultationen mitgewirkt und begrüßt die vorgelegten Entwicklungsziele. "Die Ziele setzen nicht mehr einfach auf Entwicklung, sondern sie wollen auch Fehlentwicklungen korrigieren. In dieser Hinsicht ist nun auch Deutschland ein Entwicklungsland", betonte Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender von Germanwatch. Er  warnt jedoch vor dem Risiko, dass die Ziele Papiertiger bleiben. "Die Ziele werden verkündet, aber sie sind nicht rechtlich bindend. Unklar ist bisher zudem, wie die 17 Haupt- und 169 Unterziele umgesetzt werden sollen - auch in Deutschland. Gegenüber Freihandelsabkommen wie dem parallel verhandelten TTIP-Handelsabkommen drohen sie unter die Räder zu kommen." 

OHNE GERECHTE UMVERTEILUNG SCHEITERT DAS VORHABEN

Kritischer ist die Menschenrechtsorganisation Medico International. Sie mahnte, dass die nachhaltige Agenda ohne eine gerechte Umverteilung des weltweiten Reichtums scheitern werde. "Es besteht die Gefahr, dass die Nachhaltigkeitsziele als Papiertiger enden. Die Beschlüsse sind bloße Absichtserklärungen und das Kleingedruckte hat es in sich", sagte medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer.

Die Ziele sollen durch ökonomisches Wachstum und die Beteiligung der Privatwirtschaft erreicht werden. Dadurch laufe die Politik Gefahr zum Bittsteller der Wirtschaft zu werden und diese könne die Umsetzung beeinflussen. "Das zeigt sich am Beispiel der Bill Gates Foundation. Sie ist der zweitgrößte Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation und bestimmt, dass ihre Spenden zweckgebunden eingesetzt werden. So werden einige Impfprogramme enorm gefördert und anderes hingegen fällt unter den Tisch", erläutert der medico-Geschäftsführer.

Neue Regeln, etwa zur Bekämpfung von Steuerflucht und Korruption, seien bereits am Veto mächtiger Industriestaaten gescheitert. Ohne globale Umverteilung und einer Transformation des Weltwirtschaftssystems blieben die SDGs letztlich nur Blendwerk und Flickschusterei.

"Das fundamentale Problem der neuen Entwicklungsagenda ist ihre Widersprüchlichkeit, die so weit geht, dass sich ihre Ziele gegenseitig aufheben. Wie sollen Klima und Umwelt geschützt werden, wenn die Mittel, die für solche Maßnahmen notwendig sind, über das Wachstum einer zerstörerischen Produktionsweise generiert werden? Wie soll zugleich mehr und weniger realisiert werden? Wie die Armut bekämpft werden innerhalb eines Systems, dass Armut immer wieder systematisch produziert?", fragte Gebauer.

Auch das entwicklungspolitische Bündnis erlassjahr.de sieht die erfolgreiche Implementierung in Gefahr, wenn der finanzielle Mittelabfluss aus überschuldeten Staaten nicht auf ein tragfähiges Maß reduziert wird. Deutschland müsse sich an der Erarbeitung eines Staateninsolvenzverfahrens beteiligen, wenn sein Einsatz für nachhaltige Entwicklung glaubhaft sein soll.

Ziel 2 der neuen 2030 Agenda verspricht nicht weniger als den Hunger in der Welt in den nächsten 15 Jahren zu besiegen. Auch die Menschenrechtsorganisation FIAN ist skeptisch angesichts der alten, in diesem Jahr endenden und nicht erreichten Zielvorgaben bei der Hungerbekämpfung.

Von den 129 Ländern, zu denen Schätzungen vorliegen, haben 29 das Ziel, den Hunger zu halbieren erreicht. Unter ihnen Länder wie Venezuela, Brasilien, Ghana oder Vietnam. Andere Ländern wie Sambia, Guatemala oder Indonesien verzeichneten einen Anstieg der Zahl der an schwerem Hunger leidenden Menschen. "Ambitionierte Ziele sind gut, aber man muss angesichts der vergangenen Erfahrungen schon die Glaubwürdigkeit solcher Versprechen hinterfragen", so Roman Herre, Agrarreferent von FIAN Deutschland.

"Hunger ist und bleibt damit besonders eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit", so Herre. "Leider wird genau diese Frage bei der neuen Zielsetzung ausgeklammert." 

Quellen: unwomen.de / nachhaltigkeitsrat.de / one.org / fian.de / medico.de / afrikaverein.de / kindernothilfe.de / jugendeinewelt.at / erlassjahr.de / germanwatch.org


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