Berlin. - Zur Thyssenkrupp-Hauptversammlung am Freitag in Bochum hat ein Bündnis von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen den Konzern zu einem ernstzunehmenden Kurswechsel aufgefordert. Thyssenkrupp stehe wegen Umweltverschmutzung in Brasilien in der Kritik, komme seiner Sorgfaltspflicht als Zulieferer nicht nach und exportiere Rüstungsgüter in Krisenregionen, erklärten die NGOs.
Das NGO-Bündnis, dem die Christliche Initiative Romero (CiR), der Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (fdcl), die Kooperation Brasilien (KoBra), Stop Mad Mining und urgewald angehören, berichtete, seit mehr als fünf Jahren betreibe Thyssenkrupp (TK) im brasilianischen Rio de Janeiro das Stahlwerk Thyssenkrupp Companhia Siderúrgica do Atlântico (TKCSA) mit einer behelfsmäßigen Genehmigung. "Grundlage ist ein sogenannter TAC-Vertrag, der bereits mehrmals verlängert wurde. Die vom Gesetzgeber definierte Maximalfrist von 48 Monaten endet somit am 16. April 2016", sagte Christian Russau vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Russau hält eine Verlängerung für unwahrscheinlich. Der letzte Fortschrittsbericht offenbare, dass TKCSA eine ganze Reihe der 132 behördlichen Auflagen zur Behebung des auf die Anwohner niederregnenden Stahlwerkstaubs noch "nicht erfüllt" habe. "Thyssenkrupp hat kaum Chancen, in den verbleibenden knapp 60 Tagen das zu schaffen, was der Konzern in fünfeinhalb Jahren nicht geschafft hat", kommentierte Russau, der seit 2009 die Umweltschäden durch das Werk anprangert.
Thyssenkrupp steht auch als Zulieferer in der Kritik. "Zu Thyssenkrupps Sorgfaltspflichten gehört die vorherige Überprüfung der Abnehmer seiner Produkte", so Igor Birindiba Batista vom Netzwerk Kooperation Brasilien (KoBra) aus Freiburg. TK habe Equipment an die umstrittene Kupfermine Tintaya Antapaccay in Peru und an den brasilianischen Bergbaukonzern Samarco, u.a. Rohrleitungen für eine rund 400 Kilometer lange Eisenerzpipeline geliefert.
"Der von Samarco fahrlässig herbeigeführte Dammbruch der Bergbaudeponie bei Mariana im November ist die größte Umweltkatastrophe in der Bergbaugeschichte Brasiliens", so Batista. Das Unternehmen sei ein denkbar schlechter Geschäftspartner: "Samarco operiert jenseits des legalen Rahmens. Einen Notfallplan für einen Dammbruch gab es nicht, obwohl der kritische Zustand des Auffangbeckens seit 2013 durch einen Gutachter bestätigt wurde. Der Santarém-Damm an der Mine Germano wird außerdem nach Angaben der Umweltbehörde des Bundesstaats Minas Gerais seit Mai 2013 illegal betrieben", so Batista.
Auch beim Thema Rüstung handele der Konzern weiter "verantwortungslos", kritisierten die NGOs. Thyssenkrupp habe dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri zufolge im vergangenen Jahr ein starkes Umsatzwachstum beim Geschäft mit Kriegsschiffen verzeichnet. "Dabei schreckt der Konzern auch nicht vor der Lieferung seiner U-Boote und Fregatten in Krisenregionen wie Algerien, Ägypten und Israel zurück", sagte Barbara Happe von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald.
"Angesichts der angespannten weltpolitischen Lage und der brisanten Situation im arabischen Raum sind derartige Exportgeschäfte ein Skandal. Sie heizen den regionalen Rüstungswettlauf weiter an", so Happe. "Milliardendeals mit Ländern wie Ägypten, wo aktuell massiv Menschenrechte verletzt werden, sind unverantwortlich."
Quelle: www.urgewald.org