Berlin. - Beim Umgang mit geflüchteten Kindern wird in der EU mit zweierlei Maß gemessen: Während Familien, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, legal in EU-Staaten einreisen können und umfassenden Schutz genießen, erleben Geflüchtete aus anderen Ländern auf ihrem Weg in die Europäische Union Zurückweisung und Gewalt. Auch an ihren Aufenthaltsorten haben beide Gruppen nicht dieselben Rechte, so ein neuer Bericht von Save the Children.
"Kinder sind Kinder, aber die EU setzt bei Flüchtenden ohne ukrainischen Pass auf Zurückweisung und Abschreckung – und nimmt damit den Tod von Menschen in Kauf", erklärte Marvin Mc Neil, Advocacy Manager für Flucht und Migration bei Save the Children Deutschland. "Dass es auch anders geht, sehen wir im Umgang mit ukrainischen Familien. Wenn der Wille da ist, können die EU-Staaten zusammenarbeiten, um vor Krieg fliehende Kinder zu schützen."
Save the Children wertete für den Report "Safe for Some" Daten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR aus. Demnach kamen seit 2019 mehr als 8.000 von insgesamt fast einer halben Million Geflüchteter auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa ums Leben oder werden vermisst. Das ist jede 50. Person. Die EU-Staaten versuchen auch auf dem Landweg mit teils drakonischen Maßnahmen, Geflüchtete an der Einreise zu hindern, darunter illegale Pushbacks durch Grenzbeamte. Beim EU-Gipfel vergangene Woche bestätigten die Staats- und Regierungschefs diese Politik erneut und einigten sich auf eine noch stärkere Sicherung der Außengrenzen.
Für die rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine, die seit Februar 2022 in die EU einreisten, gilt dagegen die "Temporary Protection Directive", in Deutschland "EU-Massenzustrom-Richtlinie" genannt. Sie wurde erstmals im März 2022 aktiviert und ermöglicht Menschen aus der Ukraine die visafreie Einreise, einen legalen Aufenthaltsstatus, das Recht auf Bewegungsfreiheit sowie Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen, zum Arbeitsmarkt und zu Bildung. Die Zahl der Ukrainer*innen, die unter dieser Richtlinie Schutz erhielten, war fast doppelt so hoch wie die Zahl aller Geflüchteten, die 2015 und 2016 Asyl in der EU beantragten.
"Wir brauchen dringend eine neue europäische Asylpolitik, die den Schutz ausnahmslos aller Kinder in den Mittelpunkt stellt", sagte Marvin Mc Neil. "Die EU hat bei den Verhandlungen zum Asyl- und Migrationspakt die Gelegenheit und die Pflicht, die Kinderrechte ins Zentrum zu rücken. Alle Kinder, die vor Konflikten fliehen, brauchen die gleichen sicheren und legalen Einreisemöglichkeiten sowie Schutz und Unterstützung."
In den EU-Staaten gelten für geflüchtete Kinder, die nicht aus der Ukraine kommen, eingeschränkte Rechte. Sie genießen keine Bewegungsfreiheit, leiden unter den hohen Hürden bei der Familienzusammenführung, erschwertem Zugang zu Bildung und werden oft in nicht-kindgerechten Unterkünften untergebracht, so der Bericht. Wegen der langen Dauer von Familienzusammenführungen wenden sich Kinder auf der Flucht oft an Schleuser, die ihnen eine schnelle Reise zu den Verwandten versprechen. Damit wächst die Gefahr von Missbrauch und Ausbeutung.
Diese Kinder berichteten Save the Children von Gewalt auf ihrer Fluchtroute nach Europa. Einige mussten sich nackt ausziehen, andere wurden gezwungen, in der Kälte zu warten oder wurden mit Elektroschocks gequält. Bei den Täter*innen handelte es sich zum größten Teil um Grenzpolizist*innen, aber es gab auch Gewalt durch Menschenschmuggler, denen sich die Kinder und ihre Familien anvertrauten, um über die abgeriegelten Grenzen in die EU zu gelangen.
Quelle: www.savethechildren.de