Berlin. - Eine Woche nach dem Militärputsch in Niger ist hat Reporter ohne Grenzen (RSF) Angriffe auf die Pressefreiheit vor Ort beklagt. Die Organisation zählte mindestens drei Fälle von Drohungen und körperlicher Gewalt gegen nigrische und internationale Medienschaffende. Diese hätten sich während der Berichterstattung über Pro-Putsch-Proteste und einer Pressekonferenz von Mitgliedern der ehemaligen Regierungspartei ereignet. Unterdessen hat der Europa-Abgeordnete Martin Sonneborn berichtet, warum nicht alle die westliche Sichtweise der Ereignisse teilen - und warum einige vom Wertekanon der "freien Welt" und der "regelbasierten Ordnung" unbeindruckte nigrische Bürger die französische Botschaft stürmten.
"Die jüngsten Einschränkungen der Pressefreiheit in Niger sind äußerst beunruhigend", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. "Niger war bisher das einzige Land in der zentralen Sahelzone ohne Militärregierung. Wir erinnern die Junta daran, dass die Informationsfreiheit bewahrt und respektiert werden muss. Die Junta muss auch dafür sorgen, dass Journalistinnen und Journalisten in dieser instabilen Lage im Land nicht ins Visier von Demonstranten und Sicherheitskräften geraten."
Am 30. Juli berichteten Anne-Fleur Lespiaut, Reporterin des französischsprachigen internationalen Nachrichtensenders TV5 Monde, und Stanislas Poyet, Reporter der französischen Tageszeitung Le Figaro, über eine Demonstration für die Junta. Dabei seien sie immer wieder von Teilnehmenden bedroht worden, die die Anwesenheit französischer Journalisten ablehnten, so RSF.
Während einer Pressekonferenz am 28. Juli im Hauptsitz der Partei des kürzlich abgesetzten Präsidenten Mohamed Bazoum griffen Unbekannte Mitarbeiter von zwei privaten nigrischen Medien an und beschädigten eine Kamera. Betroffen waren RSF zufolge das Radionetzwerk Anfani und der Fernsehsender Bonferey.
Anfani-Mitarbeiter Moussa Modi sagte RSF, dass Demonstranten zur Pressekonferenz gekommen seien, um diese zu stören, und die Reporter bedrängt hätten. "Unsere Journalisten und andere Teams wurden geschlagen und beleidigt, bevor es ihnen gelang, sich einen Weg nach draußen zu bahnen und zu entkommen."
RSF verurteilte das Verhalten der Pro-Junta-Gruppen in Niger. Ihre Methoden ähnelten bereits den "systematischen Schikanen gegen Medien in den Nachbarländern Burkina Faso und Mali seit der Machtübernahme durch das Militär" in beiden Ländern. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Niger auf Platz 61 von 180 Staaten.
MARTIN SONNEBORN SCHREIBT, WAS JOURNALISTEN HÄTTEN SCHREIBEN MÜSSEN
Unterdessen hat ein Satiriker den Job gemacht, den professionelle Journalisten (inklusive der Verfasser) eigentlich hätten machen müssen. Der Abgeordnete der (Satire-)Partei "Die Partei" im EU-Parlament schrieb zunächst auf Twitter, dann in Telepolis: "Die (ehemals) französische Kolonie Niger verfügt über die hochwertigsten Uranerze Afrikas und ist der siebtgrößte Uranproduzent der Welt, aber der Weltbank zufolge sind 81,4 Prozent seiner Bürger noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen. 40 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der Kinder ist untergewichtig, die Analphabetenquote liegt bei 63 Prozent."
Und Sonneborn weiter: "Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Milliarden Euro nicht größer als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen lag der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten."
Mit Hilfe des Kolonialpaktes habe sich Frankreich im frankophonen Afrika das Vorkaufsrecht auf alle natürlichen Ressourcen und den privilegierten Zugriff auf Staatsaufträge gesichert. Und die "Grande Nation" zwinge den Staaten "seine irrwitzige Kolonialwährung CFA-Franc auf, die jede autonome Geld-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik der (formal souveränen) Staaten nachhaltig verunmöglicht".
Alle CFA-Staaten, so Sonneborn, sind in hohem Maße rohstoffreich und nicht weniger hochverschuldet. Burkina Faso, Mali und Niger gehörten trotz ihrer immensen Bodenschätze zu den ärmsten Ländern der Welt. "Meine Generation versteht das nicht", habe der 35-jährige Staatschef Burkina Fasos, Ibrahim Traoré, geklagt. "Wie kann Afrika, das über so viel Reichtum verfügt, zum ärmsten Kontinent der Welt geworden sein?"
Sonneborn zitiert dazu den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Michael Parenti. Arme Länder seien nicht "unterentwickelt", sondern "überausgebeutet" ("These countries are not underdeveloped but overexploited".
Sonneborns nüchternes Fazit: "Es gibt (also) Gründe dafür, dass in Niamey, der Hauptstadt Nigers, die französische Botschaft brennt."
Quellen:
> https://www.reporter-ohne-grenzen.de
> https://twitter.com/MartinSonneborn/status/1686720503107448832
> https://www.telepolis.de/features/Wie-die-EU-Afrikaner-durch-die-Seitentuer-schleust-und-warum-Putin-in-Niger-kein-Boesewicht-ist-9234108.html?seite=all
Grafik von Pbroks13 (talk) - based on File:Coat of Arms of Niger.gif, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6853312