Berlin (epo/IPS). - Die indische Regierung hat ganz offiziell UN-Untergeneralsekretär Shashi Tharoor als Nachfolger von Kofi Annan, der Ende des Jahres ausscheidet, vorgeschlagen. Damit meldet sich Indien nach jahrzehntelanger diplomatischer Zurückhaltung auf der weltpolitischen Bühne zurück. Der Entscheidung, die 'Tharoor-Karte' offen zu spielen, ist einiges vorangegangen: Indien hat sich nicht nur von den erschütternden Auswirkungen der erniedrigenden Niederlage im Krieg mit China 1962, sondern auch von einer schmerzlichen Phase der außenpolitischen Orientierungslosigkeit nach dem Wegfall der Berliner Mauer erholt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion stand Indien mit seiner Politik der Blockfreiheit vor einem außenpolitischen Scherbenhaufen.

So war Indien jahrzehntelang von der weltpolitischen Bühne verschwunden. Und wenn es die Aufmerksamkeit der westlichen Medien auf sich lenkte, dann nicht wegen Stellungnahmen zu grandiosen Themen wie der friedlichen Koexistenz, Neuen Weltwirtschaftsordnung, globaler Abrüstung oder dem Nord-Süd-Ausgleich. Schlagzeilen machten Dürre, Hungerkatastrophen, Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen, Witwenverbrennungen, Unterdrückung der Dalits, Menschenrechtsverletzungen, Kaschmir und Atommachtambitionen.

Inzwischen sind diese Schlagzeilen beinahe verschwunden - obwohl alle Probleme, die diese andeuteten, noch lange nicht gelöst sind. Es entsteht aber ein neues Bild Indiens: das Bild eines dynamischen Landes, das über eine weltoffene politische Elite und über ein Reservoir von Experten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) verfügt. Ein Land, das dank seiner aufstrebenden Unternehmer stetige Wirtschaftswachstumsraten von jährlich acht Prozent erzielt und unbestritten als die "aufstrebende Großmacht" betrachtet wird.

All dies ist gelungen, nicht auf Grund von Anordnungen von oben oder durch Einschränkung der demokratischen Rechte. Es ist gelungen auf Grund der Umorientierung der indischen Wirtschaftspolitik, die große freie Räume für die Eigenanstrengungen der Menschen im Lande bietet und ihnen ermöglicht, von der Globalisierung zu profitieren. Selbst wenn Indien die größte und chaotischste Demokratie auf der Welt bleibt, unterscheidet es sich von China - ein Land, in dem per Dekret regiert wird, und das weit davon entfernt ist, demokratische Strukturen aufzubauen.

Inzwischen hat die USA - wie auch Europa - Indien als einen "strategischen Partner" und als Atommacht akzeptiert, ohne dass es den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NPT), den es für "diskriminierend" hält, unterschrieben hat.

Mit der Ankündigung der letzten Woche, dass sie einen Inder für das Amt des UN-Chefs ins Rennen schickt, will die indische Regierung der internationalen Gemeinschaft signalisieren, dass Indien jetzt bereit und willig ist, Führungsaufgaben zu übernehmen - eine Unternehmung die vor 42 Jahren scheiterte, als sich im Krieg mit China herausstellte, dass moralische Ansprüche ohne das notwendige Waffenarsenal wie Seifenblasen zerplatzen.

Zum Glück führte das Zerplatzen von Seifenblasen nicht dazu, dass die indische Armee der Versuchung erlag, angesichts der kritischen Lage zu putschen, in die das Land nach der Niederlage im Krieg mit China fiel und als die Politik der Gewaltlosigkeit und Koexistenz des beliebten und hoch angesehenen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru wie ein Kartenhaus zusammenfiel und ihm politisch enorm schwächte. So blieb Indien das Schicksal vieler asiatischer Staaten wie das des Nachbarn Pakistan erspart, die von der einen in die nächste Revolte der Militärs stürzten.

Längst gehört Indien zu den Ländern, dessen Soldaten rund um den Erdball unter der UN-Flagge für Frieden sorgen. Tharoor, der die Nachfolge Annans antreten möchte, war bis vor zehn Jahren verantwortlich für die UN-Friedensmission in Ex-Jugoslawien.

 


 

Über den Autor:
Ramesh Jaura ist Europa-Direktor der internationalen Nachrichtenagentur IPS-Inter Press Service, Vorsitzender des Global Cooperation Council und Präsident des Europe's Forum on International Cooperation (Euforic).

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