Das historisch angespannte Verhältnis zwischen Äthiopien und Eritrea verschlechtert sich erneut. Das Friedensabkommen von 2018 scheint zu bröckeln und die lang anhaltende Rivalität zwischen den beiden Ländern wieder aktuell. Zwar kann sich keine Seite eine Eskalation leisten, dennoch sei ein offener Konflikt möglich, schreibt Michael Woldemariam, außerordentlicher Professor an der School of Public Policy der University of Maryland.
Die öffentlichen Aussagen des äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed zum Thema Zugang zum Meer führten zu ablehnenden Reaktionen seitens der Küstennachbarn, die deutlich machten, dass die souveräne Kontrolle über ihre Küsten nicht verhandelbar sei. Dazu gehörte auch Eritrea, das sich dem öffentlichen Widerstand Dschibutis und Somalias anschloss. Eritrea hat diesbezüglich den größten Anlass zur Sorge, so gehörten von 1952 bis 1993 seine Häfen am Roten Meer zu Äthiopien und nur ein blutiger nationaler Befreiungskampf führte zur eritreischen Staatlichkeit.
Auf einem Saudi-Afrika-Gipfel im November in Riad führte Abiy Dialoge mit den Präsidenten von Dschibuti und Somalia und unterzeichnete später im selben Monat ein Verteidigungs-Memorandum mit diesen beiden Nachbarn, möglicherweise um sie von den Absichten Äthiopiens zu überzeugen. Beunruhigenderweise kam es bislang nicht zu ähnlichen Gesprächen mit der eritreischen Führung.
Die bilateralen Spannungen haben ihren Ursprung im Friedensabkommen von 2018, das im Kern ein Bündnis zwischen Addis Abeba und Asmara war, um die Tigray People’s Liberation Front (TPLF) einzudämmen und vielleicht zu besiegen. Dieses Bündnis bestand bereits, als im November 2020 in Tigray ein offener Krieg ausbrach, doch der Konflikt führte bald zu taktischen und strategischen Differenzen zwischen Addis Abeba und Asmara darüber, wie er zu verfolgen sei.
Eritrea versucht indessen ein Kräftegleichgewicht herzustellen. Innerhalb der Region ist Isayas Afewerki, Eritreas Staatspräsident, näher an die Präsidenten Kenias und Somalias William Ruto und Hassan Sheikh herangerückt und stellt möglicherweise stillschweigend die historisch schwierigen Beziehungen zum Präsidenten Dschibutis, Ismaïl Omar Guelleh, wieder her. Im Roten Meer ist Eritrea näher an Kairo und Riad gerückt. Und Isayas Auftritte während seiner Besuche in Russland und China im Mai und Juli 2023 zeigen den Wunsch, die Unterstützung der Großmächte zu fördern. Eine ähnliche Logik gilt für Eritreas angebliche Sicherheitsbeziehung mit der Amhara-Miliz, die gegen die regierende Wohlstandspartei Äthiopiens ist. Diese Verbindung bleibt undurchsichtig, gibt aber in Addis Abeba Anlass zu großer Sorge.
Ein offener Konflikt zwischen den Regierungen Eritreas und Äthiopiens ist durchaus möglich. Berichte über Militärbewegungen im Grenzgebiet zwischen Eritrea und Äthiopien, deren Überprüfung immer schwierig ist, unterstreichen die Risiken. Doch eine bewaffnete Konfrontation bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Äthiopien kämpft mit hartnäckigen Aufständen und allgemeiner Unsicherheit im ganzen Land und sieht sich mit einer ernsten wirtschaftlichen Notlage konfrontiert. Auch Eritrea hat eine fragile Wirtschaft, trotzdem seine regionale Bedeutung zugenommen hat.
Die tragische Geschichte der Beziehungen zwischen Eritrea und Äthiopien zwischen 1998 und 2018 lehrt jedoch drei wichtige Lektionen: Erstens könnte ein Krieg dazu führen, dass es allen Parteien schlechter geht, das ist aber keine Garantie für Zurückhaltung. Zweitens ist die Möglichkeit einer unbeabsichtigten Eskalation nicht von der Hand zu weisen. Als 1998 der letzte Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien ausbrach, war es eine Katastrophe, die weder die eine noch die andere Seite vorhergesehen oder angestrebt hatte. Kleine Grenzzwischenfälle entwickelten sich schnell zu einem katastrophalen Kampf, der Zehntausende Menschen das Leben kostete. Und drittens wäre eine Rückkehr zur Rivalität vergangener Jahrzehnte, nämlich die Pattsituation „Kein Krieg, kein Frieden“ ebenfalls schlecht für beide Länder und die Region insgesamt, da sie den Autoritarismus im Inland verstärken und Stellvertreterkriege befeuern würde von Somalia bis Sudan.
Daher sei es zwingend erforderlich, dass internationale Interessenvertreter handeln, um die Spannungen zwischen Eritrea und Äthiopien zu entschärfen. Dazu gehören afrikanische Akteure aber auch die USA sowie die Vereinigten Arabischen Emirate. In diesem Sinne muss von denjenigen, die in Äthiopien und Eritrea die Staatsmacht innehaben, nicht nur eine Deeskalation und eine Rückkehr zum Status quo ante von 2018 verlangt werden; sondern vielmehr ein Frieden, der formell und transparent ist und den Völkern beider Länder greifbaren Nutzen bringt, sagt Woldemariam.
Quelle: vollständiger Artikel: UNITED STATES INSTITUTE OF PEACE