Berlin. - Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende: Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert. Dies geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von Reporter ohne Grenzen (RSF) hervor. Der Analyse zufolge befanden sich im vergangenen Jahr 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie – so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Unabhängige journalistische Arbeit ist in diesen Ländern praktisch unmöglich.
Besonders vor und nach Abstimmungen sind Journalistinnen und Journalisten gefährdet. Es kommt zu Beschimpfungen, Gewalt und Festnahmen. Diese Entwicklung ist besonders besorgniserregend mit Blick auf das Superwahljahr 2024: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird in diesem Jahr an die Wahlurnen gebeten – etwa in den USA und Indien. Auch in Deutschland stehen Wahlen an: Neben den Wahlen für das EU-Parlament wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg über die Zusammensetzung der Landtage abgestimmt.
„Das zunehmende Ausmaß der Gewalt gegenüber Medienschaffenden, die über Wahlen berichten, ist eine erschreckende Entwicklung. Autokraten, Interessengruppen und Feindinnen der Demokratie wollen mit allen Mitteln unabhängige Berichterstattung verhindern“, warnt Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Dies ist nicht hinnehmbar. Demokratische Regierungen müssen sich mehr für den Schutz von Medienschaffenden engagieren. Pressefreiheit ist eine Voraussetzung, um sich unabhängig eine Meinung zu bilden und eine informierte Wahlentscheidung zu treffen.“
Deutschland steigt auf in die Top 10
Deutschland steht auf Platz 10. Das ist ein Aufstieg gegenüber 2023 (21). Betrachtet man die Gesamtpunktzahl, hat sich die Situation in Deutschland aber nur geringfügig verbessert und auch nur in der Kategorie Sicherheit. Der Sprung auf Ranglistenplatz 10 ist zudem auch der Tatsache geschuldet, dass sich andere Länder auf der Rangliste verschlechtert haben.
Besorgniserregend ist weiterhin die Gewalt gegen Medienschaffende: RSF verifizierte für das Jahr 2023 insgesamt 41 Übergriffe auf Journalistinnen und Reporter. Im Vorjahr lag die Zahl noch bei 103 – ein Negativrekord –, im Jahr 2021 bei 80. Wie die aktuelle Nahaufnahme Deutschland zeigt, fanden 18 dieser 41 Übergriffe während Kundgebungen von Verschwörungstheoretikern oder extremen Rechten statt.
RSF geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Organisation sammelte im Jahr 2023 noch viele weitere Fälle von Gewalt gegen Medienschaffende, die jedoch – meist aufgrund fehlender Zeuginnen oder Zeugen – nicht verifiziert werden konnten. Die Zahl der Übergriffe bewegt sich zudem noch immer auf hohem Niveau – 2019, im Jahr vor der Pandemie, hatte RSF nur 13 Übergriffe gezählt.
Positiv zu bewerten ist die deutsche Vorreiterrolle bei der Durchsetzung und Erweiterung des Völkerstrafrechts: Im weltweit ersten Strafprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gambia wurde ein in Deutschland lebender ehemaliger Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt.
Pressefeindliche Tendenzen haben insgesamt in Deutschland zugenommen. Besonders im Internet werden Journalistinnen und Journalisten immer wieder diffamiert, manche bekommen gar Morddrohungen. Seit dem Beginn von Israels Krieg gegen die Hamas beobachtet RSF zudem vermehrt Übergriffe auf Medienschaffende auf Pro-Palästina-Demonstrationen. Zudem verzeichnet die Organisation ein neues Phänomen der Pressefeindlichkeit: Landwirtinnen und Landwirte blockierten in mindestens fünf Fällen mit Traktoren die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern – ein klarer Angriff auf das Recht auf Information.
Spitzenreiter und Schlusslichter: Skandinavien führt, Afghanistan stürzt ab
Wie in der Vergangenheit machen die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum achten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1. Gründe für die gute Platzierung sind unter anderem die große Unabhängigkeit der Medien von der Politik, der gesetzliche Schutz der Informationsfreiheit sowie der traditionelle Pluralismus der norwegischen Medienlandschaft. Ähnlich gut sind die Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung in den Nachbarländern Dänemark (2) und Schweden (3). Unter den Top 5 kommen nur die Niederlande (4) – vor Finnland (5) – nicht aus Europas höchstem Norden: In dem Land wird die Pressefreiheit traditionell gut durch Gesetze, Staat und Behörden geschützt.
Am unteren Ende der Tabelle befindet sich Afghanistan (178), das 26 Plätze gefallen ist. Unter den regierenden Taliban wurden im vergangenen Jahr drei Journalisten getötet, mindestens 25 Medienschaffende saßen zwischenzeitlich im Gefängnis. Reporterinnen und Reporter müssen weiterhin ständig damit rechnen, durch Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen zu werden. Erst vergangene Woche traf es drei Radiojournalisten in der Provinz Khost, weil sie Musik abgespielt und Zuhörerinnen in ihrer Sendung angerufen hatten. Die Taliban behindern mit Kleidervorschriften und weiteren Einschränkungen insbesondere die Arbeit von Journalistinnen.
Auch in Syrien (179) hat sich die ohnehin katastrophale Lage weiter verschlechtert. Das von Krieg und Terror geschüttelte Land belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit den vorletzten Platz. Unabhängig journalistisch zu arbeiten, ist in allen Landesteilen nahezu unmöglich. Dutzende Medienschaffende sitzen in den Foltergefängnissen des Assad-Regimes, wurden von dschihadistischen Gruppen entführt oder gelten teils seit Jahren als verschwunden. Wenn doch einmal kritische Berichte über die Machenschaften des Regimes nach außen dringen, bestrafen die Behörden die Medien sofort.
Ein ebenso rechtsfreier Raum ist Eritrea (180), das neue Schlusslicht auf der Rangliste der Pressefreiheit. Eritrea ist eine Informationswüste, sämtliche existierenden Medien stehen unter direkter Kontrolle des Informationsministeriums. Seit 2001 schottet sich die Diktatur von Isayas Afewerki nach außen hin ab und unterbindet den freien Fluss von Nachrichten und Informationen mit großer Härte und Brutalität. Vier der vor über 20 Jahren festgenommenen Journalisten sitzen bis heute ohne Anklage in Haft, etwa der schwedische Staatsbürger Dawit Isaak. Er gehört zu den am längsten inhaftierten Medienschaffenden der Welt.
Osteuropa und Zentralasien: Weniger getötete Medienschaffende
In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion verschlechterte sich die Lage der Pressefreiheit weiter. Zwar stieg Russland (162) formell um zwei Plätze auf. Der Sprung erklärt sich jedoch aus der Verschlechterung anderer Staaten; bei der Gesamtbewertung verlor das Land fast fünf Punkte. Nach wie vor geht der Kreml hart gegen unabhängigen Journalismus vor: Seit Beginn der vollumfänglichen Invasion in die Ukraine wurden acht Medien zu unerwünschten Organisationen erklärt und mehr als 70 Medien und 300 Medienschaffende als „ausländische Agenten“ eingestuft. Über 1500 Medienschaffende verließen das Land. Russland weitet die Zensur im Internet aus und geht gegen die Verwendung von VPN-Diensten vor. Medienschaffenden, die im Land bleiben, droht stets Gefängnis.
Besser sieht die Lage in der Ukraine (61) aus: Das Land konnte mitten im Krieg 18 Plätze aufsteigen. Dies liegt vor allem an der geringeren Zahl von Medienschaffenden, die von der russischen Armee getötet wurden. 2023 kamen die Reporter Arman Soldin und Bohdan Bitik durch die Kugeln russischer Soldaten ums Leben. Im Vorjahr lag diese Zahl noch bei neun Medienschaffenden. Ein weiterer Grund für den Aufstieg des Landes: Das Ausmaß der politischen Einflussnahme auf Redaktionen ist zurückgegangen. Solche Versuche werden in der Regel von den Medien aufgedeckt und damit unterbunden. In diese Einschätzung geht der Skandal um die geheimdienstliche Überwachung des Investigativmediums Bihus.info allerdings noch nicht ein. Dieser wurde nach Ende des Berichtszeitraums bekannt.
Stärkster Absteiger in der Region ist Georgien (103), das in der Rangliste der Pressefreiheit um 26 Plätze abstürzte. Dies liegt an der pressefeindlichen Politik der Regierungspartei Georgischer Traum: Die Partei initiierte unter anderem ein Agentengesetz nach russischem Vorbild, das im März 2023 an Protesten scheiterte, mittlerweile aber wieder zur Abstimmung steht. Zudem trieb die Partei Gesetzesvorhaben voran, welche das Budget des öffentlichen Rundfunks von jährlichen Entscheidungen des Parlaments abhängig machen und der Medienaufsicht die Möglichkeit geben, die Verwendung von Hassrede in der Berichterstattung hart zu sanktionieren.
In zentralasiatischen Staaten wie Kasachstan (142) und Tadschikistan (155) wird Journalismus weiter stark eingeschränkt. Usbekistan (148) fiel 2023 in die schlechteste Wertungskategorie ab. Das diktatorisch geführte Turkmenistan (175) bildet das Schlusslicht der Region. In Aserbaidschan (164) hat Präsident Ilham Alijew seit November 2023 etwa 20 Medienschaffende festnehmen lassen. In Belarus (167) ist unabhängiger Journalismus weitgehend verstummt.
Europa: Gutes Gesamtbild, Probleme im Osten und Südosten
Europa ist nach wie vor die Weltregion, in der Journalistinnen und Journalisten am freiesten berichten können – es ist die einzige Region, in der Staaten mit „guter Lage“ der Pressefreiheit vertreten sind. Jedoch hat sich die Lage im Osten und Südosten des Kontinents verschlechtert.
Innerhalb der EU werden pressefeindliche Tendenzen vor allem von Premierminister Robert Fico aus der Slowakei (29) und seinem Amtskollegen aus Ungarn (67), Viktor Orbán, verkörpert. So wurde in der Slowakei beispielsweise Ende April 2024 ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefährdet, da er politische Einmischung in journalistische Inhalte ermöglicht. In Ungarn leiden Berichterstattende unter anderem an parteiischer Medienregulierung, politischer Einmischung in redaktionelle Entscheidungen, Verleumdungskampagnen und Überwachung.
Hinter Ungarn rangieren aus der Reihe der EU-Mitgliedsländer noch Malta (73) und Griechenland (88). In dem südosteuropäischen Land befindet sich die Pressefreiheit seit 2021 in einer Krise. Der Skandal um das Abhören von Journalisten durch den Nationalen Nachrichtendienst (EYP) ist nach wie vor nicht aufgeklärt, ebenso wie der Mord an dem Kriminalreporter Giorgos Karaivaz im Jahr 2021.
Auch Italien (46) unter Giorgia Meloni fällt in diesem Jahr um fünf Plätze. Besonders besorgniserregend sind die regelmäßige Verwendung von SLAPPs – sogenannte Verleumdungsklagen – sowie die Versuche der Gesetzgebung, die Gerichtsberichterstattung von Medien zu kontrollieren.
Unter politischem Druck steht unabhängiger Journalismus in Bosnien und Herzegowina (81), Serbien (98) und Albanien (99). Die drei EU-Beitrittskandidaten haben ähnliche Probleme: Ihre Medienlandschaft ist geprägt von Falschinformationen und Propaganda. Nachrichtenseiten gehören häufig wohlhabenden Einzelpersonen, welche die Medien für ihre politischen Zwecke oder als Erpressungsinstrumente nutzen. Journalistinnen erleben Online-Belästigungen und in einigen Fällen geschlechtsspezifische Diskriminierung.
In der Türkei (158) werden Medienschaffende oft für einige Wochen oder Monate inhaftiert. Das setzt sie und ihre Familien massiven psychischen und finanziellen Belastungen aus. Zudem schwächt das Regime die Medien durch Internetzensur.
Zu den guten Nachrichten gehört, dass sich das politische Umfeld für den Journalismus in Polen (47) und Bulgarien (59) verbessert hat. Ein Grund dafür sind neue Regierungen, die einen stärkeren Einsatz für das Recht auf Information zugesagt haben.
Asien-Pazifik: Regime sperren Medienschaffende einfach weg
In der Region Asien-Pazifik gehen Regime mit Zensur, langen Haftstrafen und Gewalt gegen unabhängigen Journalismus vor. 26 der 32 Staaten verzeichnen einen Rückgang der Gesamtpunktzahl und damit eine Verschlechterung der Pressefreiheit.
Das gilt insbesondere für Afghanistan (178) unter den Taliban. Vier weitere Länder sind unter den schlechtesten zehn Plätzen: In Nordkorea (177) lässt die Regierung keinerlei unabhängige Berichterstattung zu. In Vietnam (174) sitzen mindestens 35 Medienschaffende im Gefängnis. Einige werden in Haft misshandelt oder bekommen keine medizinische Versorgung, wie etwa der Fall des Journalisten Le Huu Minh Tuan gezeigt hat. Unter solchen Haftbedingungen leiden auch Journalistinnen und Journalisten in China (172). In keinem Land sitzen mehr Medienschaffende im Gefängnis, derzeit sind es mehr als 100. Mitte Mai soll die seit 2020 inhaftierte Journalistin Zhang Zhan freikommen. Sie hatte in Wuhan über die Frühphase der Covid-19-Pandemie berichtet. Doch oft werden Medienschaffende auch nach der Freilassung überwacht oder sie dürfen nicht ins Ausland reisen. In Myanmar (171) ist die Arbeit lebensgefährlich: Fünf Journalisten wurden seit dem Militärputsch im Februar 2021 getötet. Zuletzt wurde die Leiche des Reporters Myat Thu Tun gefunden. Mehr als 60 Medienschaffende sitzen im Gefängnis.
Mit zwei im vergangenen Jahr ermordeten Journalisten bleiben die Philippinen (134) eines der gefährlichsten Länder der Region. Malaysia (107) hat sich um 34 Plätze verschlechtert, nachdem dort mehrere regierungskritische Nachrichtenseiten zensiert wurden. Auch in Kambodscha (151) haben die Behörden kurz vor den Wahlen 2023 den Zugang zu kritischen Seiten gesperrt. Das Land rutscht in den dunkelroten Bereich, wo die Lage als „sehr ernst“ eingestuft wird.
Aus methodischen Gründen kann es vorkommen, dass ein Land auf der Rangliste der Pressefreiheit aufsteigt, obwohl sich die Lage verschlechtert hat. Das gilt etwa für Indien (159) und Hongkong (135). In der chinesischen Sonderverwaltungszone sitzen zehn Medienschaffende im Gefängnis. Die Behörden gehen mit einem 2020 durch Peking auferlegten, drakonischen „Sicherheitsgesetz“ gegen Journalistinnen, Journalisten und Medien vor. Nicht mehr mit eingeflossen sind die Folgen eines im März in Kraft getretenen weiteren „Sicherheitsgesetzes“.
Mit der Verschlechterung Neuseelands (19) ist die Region nicht mehr unter den ersten 15 Plätzen vertreten. Trotz Einschränkungen der Informationsfreiheit konnten Länder wie Timor-Leste (20), Samoa (22) und Taiwan (27) ihren Status als regionale Vorbilder in Sachen Pressefreiheit behaupten.
Naher Osten und Nordafrika: Freie Presse von allen Seiten unter Druck
Auch auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit ist die Region Naher Osten und Nordafrika diejenige mit der insgesamt schlechtesten Situation der Pressefreiheit. In fast der Hälfte der Länder ist die Lage „sehr ernst“. Vielerorts kommt es zu Gewalt und Festnahmen, es herrschen drakonische Gesetze, die wirtschaftliche Lage ist schlecht und häufig beschneiden soziokulturelle Zwänge und Tabus die freie Berichterstattung. Hinzu kommt eine systematische Straflosigkeit bei Gewaltverbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten.
In den Palästinensischen Gebieten (157) sterben derzeit weltweit die meisten Journalistinnen und Reporter. Im massiven Krieg der israelischen Streitkräfte (IDF) gegen die Hamas im Gazastreifen wurden bisher mehr als 100 Medienschaffende getötet, darunter mindestens 22 bei der Ausübung ihrer Arbeit. Seit Beginn des Krieges versucht Israel (101), die Berichterstattung aus Gaza zu unterdrücken. Im Westjordanland haben die israelischen Behörden seit dem 7. Oktober über 30 Medienschaffende inhaftieren lassen. Damit hat Israel seine Position als Nummer eins in der Region an Katar (84) verloren, die Situation der Pressefreiheit gilt mittlerweile als „schwierig“. Zudem starben im Libanon (140) zwei Reporter und eine Reporterin bei mutmaßlich gezielten Luftangriffen der IDF.
Syrien hat vier Plätze verloren und steht nun auf dem vorletzten Platz der Rangliste der Pressefreiheit. In der Kategorie Sicherheit belegt Syrien den letzten Platz. Dennoch drohen Politikerinnen und Politiker in Ländern wie Jordanien (132), der Türkei und dem Libanon syrischen Medienschaffenden mit Ausweisung.
Neben Israel sitzt auch in Saudi-Arabien (166), Syrien und dem Iran (176) eine größere Zahl an Medienschaffenden im Gefängnis. Im Iran hält die Unterdrückung jeglicher Medien an. Wer von den vielen Inhaftierten freikommt, muss häufig eine hohe Kaution hinterlegen und lebt in Gefahr, direkt wieder festgenommen zu werden. In Ägypten (170) sorgte internationaler Druck dafür, dass mehrere Medienschaffende aus dem Gefängnis entlassen wurden. Auch im Jemen (154) kamen vier Journalisten frei, die als Geiseln gehalten wurden, wohl als Ergebnis der Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien. Beide Entwicklungen zeigen, wie sehr die Sicherheit von Medienschaffenden von politischen Interessen abhängt.
Wer in Tunesien (118) den autoritär regierenden Präsidenten kritisiert, riskiert mittlerweile Verhör und Inhaftierung. Das erinnert an die Zeit vor dem Hoffnungsschimmer der Revolution ab Ende 2010. Die Behörden legen zunehmend rote Linien für die Berichterstattung fest oder verbieten sie gänzlich.
Subsahara-Afrika: Wahlberichterstattung als Risiko
Auch in Afrika verschlechtert sich die Lage der Pressefreiheit schrittweise. In fast der Hälfte der Länder südlich der Sahara ist die Situation „schwierig“ oder „sehr ernst“. Seit April 2023 herrscht ein Bürgerkrieg im Sudan (149), in dem mehrere Medienschaffende getötet wurden. Die Lage der Pressefreiheit ist nun „sehr ernst“.
Bei mehreren Wahlen kam es zu Übergriffen auf Medienschaffende und Redaktionen. In Nigeria (112) wurden Anfang 2023 fast 20 Reporterinnen und Reporter angegriffen. Ebenso erging es zehn Medienschaffenden während Protesten vor den Wahlen in Madagaskar (100). In der Demokratischen Republik Kongo (123) schüchtern Politikerinnen und Politiker häufig unabhängige Redaktionen ein. Der Journalist Stanis Bujakera saß aufgrund einer fingierten Anklage monatelang in Untersuchungshaft und konnte deshalb nicht über die Wahlen berichten. Mittlerweile ist er frei.
In anderen Ländern der Region benutzte die Politik die Medienaufsichtsbehörden – deren Mitglieder häufig Anweisungen der Mächtigen bekommen –, um Medienschaffende kaltzustellen. So setzte rund um die Parlamentswahl in Togo (113) die staatliche Medienaufsicht HAAC willkürliche oder unverhältnismäßige Maßnahmen gegen Medien durch. Simbabwe (116) und Gabun (56) sind zwar auf der Rangliste der Pressefreiheit aufgestiegen, allerdings behinderten die Behörden in beiden Ländern im Vorfeld der Wahlen die Arbeit der Medien und den ungehinderten Zugang zu Informationen. Sie ließen willkürlich das Internet abschalten, ausländische Journalistinnen und Journalisten ausweisen und die Berichterstattung internationaler Medien unterbrechen und behindern.
Problematisch sind die Entwicklungen auch in der Sahelzone. Die Regierungen mehrerer Länder haben die Ausstrahlung internationaler, vor allem französischer Medien wie France 24, RFI und TV5 Monde verboten. Niger (80) fiel aufgrund der drakonischen Maßnahmen der Militärjunta, die im Juli 2023 durch einen Staatsstreich an die Macht kam, um 19 Plätze. Burkina Faso (86) verlor 28 Plätze, und auch in Mali (114) ist journalistische Arbeit oft sehr gefährlich. Eritrea (180) steht auf der diesjährigen Rangliste der Pressefreiheit an letzter Stelle. Unabhängigen Journalismus gibt es in Eritrea nicht, die Regierung sperrt Medienschaffende so lange weg wie kein anderes Land.
Verbesserungen gab es in Tansania (97), wo der Staat nicht mehr so stark in die Arbeit der Medien eingreift wie in den Vorjahren, und in Mauretanien (33). Dort gab es weniger Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Dennoch ist die Medienlandschaft noch immer von der Dominanz der staatlichen Medien und der prekären wirtschaftlichen Lage der unabhängigen Medien geprägt.
Nord-, Mittel und Südamerika: Zensur und Gewalt schwächen Journalismus
Auf dem amerikanischen Kontinent hat sich die Lage der Pressefreiheit in mehr als der Hälfte der Länder verschlechtert. Immer mehr Politikerinnen und Politiker schlagen einen aggressiven Ton gegenüber der Presse an. Hetze, Festnahmen und physische Gewalt erschweren die Arbeit von Medienschaffenden.
Die USA (55) fallen um zehn Plätze. Mit Gesetzen wird vor allem auf lokaler Ebene der Zugang zu Informationen erschwert. In mehreren Fällen griffen örtliche Strafverfolgungsbehörden in die Pressefreiheit ein. Es kam zu Razzien in Redaktionen und mehreren Festnahmen. Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten haben zudem ein beunruhigendes Ausmaß angenommen. Im Jahr 2023 wurde der Journalist Dylan Lyons erschossen. Das Vertrauen der amerikanischen Öffentlichkeit in die Medien nimmt weiter ab.
Ähnliche Kräfte sind auch in Argentinien (66) am Werk, das um 26 Plätze gesunken ist: Präsident Javier Milei zeigt eine aggressive Haltung gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Seine Absicht, staatliche Medien zu schließen oder zu privatisieren, bedroht die Medienlandschaft. In Ecuador (110) haben die politische Krise und die Gewalt krimineller Banden die Situation der Medienschaffenden dramatisch verschlechtert. Im Januar stürmten Bewaffnete ein TV-Studio und nahmen Journalisten als Geiseln. Das Land rutscht um 30 Plätze ab, stärker als jedes andere Land in der Region.
Mexiko (121) bleibt eines der gefährlichsten Länder der Welt für Medienschaffende – in keinem anderen Land, das sich nicht im Krieg befindet, werden so viele Journalistinnen und Journalisten ermordet. Präsident Andrés Manuel López Obrador hat auch im letzten Jahr seiner Amtszeit keine Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Pressefreiheit umgesetzt.
Äußerst besorgniserregend ist die Lage weiterhin in Kuba (168), Nicaragua (163) und Venezuela (156), den drei Ländern am unteren Ende der Rangliste der Pressefreiheit. Freier Journalismus ist hier aufgrund der willkürlichen Zensur der Regime nahezu unmöglich. Medienschaffende werden stigmatisiert und sind Schikanen, Verhaftungen und Morddrohungen ausgesetzt. In Guatemala (138) zeugt die Verurteilung des regierungskritischen Journalisten Jose Rubén Zamora zu sechs Jahren Haft von der Kriminalisierung von Medienschaffenden. Viele von ihnen sind bereits ins Exil geflüchtet.
Gute Nachrichten kommen dagegen aus Chile (52), wo die Regierung ein sichereres Umfeld für Journalistinnen und Journalisten schaffen will. Mit der Wahl von Präsident Lula Anfang 2023 hat sich auch in Brasilien (82) das mediale Klima wieder etwas entspannt.
180 Länder im Vergleich – Analyse der Pressefreiheit mit fünf Indikatoren
Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Die Rangliste der Pressefreiheit stützt sich dabei auf fünf Indikatoren: Neben Sicherheit sind dies politischer Kontext, rechtlicher Rahmen sowie wirtschaftliches und soziokulturelles Umfeld. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum einen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, für die ausgewählte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechtsverteidigerinnen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit etwas mehr als 100 Fragen beantworteten, zum anderen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zur Sicherheit von Journalisten und Medien. Mittels einer Formel wird daraus ein Punktwert zwischen 0 und 100 ermittelt, wobei 0 der schlechtesten und 100 der besten möglichen Wertung entspricht.
Aus der Abfolge der Punktwerte der einzelnen Länder ergibt sich die weltweite Rangliste der Pressefreiheit. Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste der Pressefreiheit 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die Komplexität der Verhältnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln. RSF hat die verbesserte Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Aufgrund der geänderten Methodik ist beim Vergleich der Rangliste der Pressefreiheit insgesamt und von einzelnen Ergebnissen vor und nach 2021 Vorsicht geboten. In die Rangliste der Pressefreiheit 2024 fließen Daten vom 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023 ein.