Der Zugang zum weltweiten Netz ist in Indien eine Frage des Geldes, meint Subbiah Arunachalam, Professor für Informationstechnologie an der Swaminatah Research Foundation, Chennai, Indien.

epo: Sie behaupten, dass das Internet den Graben zwischen Arm und Reich vertiefen wird. Warum?

Arunachalam: Dies betrifft nicht nur das Internet. Jede neue Technologie führt üblicherweise zu einem größeren Abstand zwischen arm und reich. Das war schon bei der Industrialisierung im 19. Jahrhundert so. Das Internet wird nur von  Leuten benutzt, die bereits mit dem Computer vertraut sind. In Indien hat das Zeitalter der Information  einige wenige Leute, darunter auch welche aus sehr armen Familien, mit einem Schlag enorm reich gemacht. Doch der Aufstieg eines verarmten Dorfjungen zum Multi-Media-Millionär bleibt die Ausnahme. Im Allgemeinen können nur die Angehörigen der städtischen Mittel- und Oberschicht, die es sich leisten können, ihre Kinder auf gute Schulen zu schicken, davon profitieren.

epo: Aber viele Nichtregierungsorganisationen aus Entwicklungsländern haben in ihrer Arbeit durch die Vernetzung enorm gewonnen. Nicht nur die Telefonkosten sanken, sondern das Internet hat den weltweiten Austausch von Informationen und die Organisation von Kampagnen erst möglich gemacht...

Arunachalam: Das stimmt natürlich. Aber in Wirklichkeit gehören diejenigen, die sich in einer NGO zusammen geschlossen haben, schon einer privilegierten Minderheit an. Die meisten Mitarbeiter sind gut ausgebildet und stark motiviert. Die wirklich armen Leute bleiben jedoch vom Zugang  zur modernen Informationstechnologie ausgeschlossen, und das kritisiere ich.

epo: Sollte angesichts dieser Defizite in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der Akzent von Umweltschutz und Armutsbekämpfung auf Computerkurse verschoben werden?

Arunachalam: Ja und nein. Nein, weil der Zugang zu Information sehr wichtig ist, nicht jedoch der Zugang zu Informationstechnologie. Informationstechnologie gehört noch nicht zu den politischen Prioritäten in vielen Teilen der Erde. Die unzähligen Familien, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, haben andere Sorgen. Sie brauchen zunächst einmal sauberes Trinkwasser, eine gesicherte Ernährung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Wenn man aber andererseits mit der Einführung der Informationstechnologie warten würde, bis alle diese Grundbedürfnisse abgedeckt sind, wäre das ebenfalls  völlig falsch. Beide Entwicklungen müssen parallel laufen.

epo: An welcher Stelle der Prioritätenliste stehen bei einer indischen Familie Computer und Telefon?

Arunachalam: Es kommt darauf an, welcher Schicht die Familie angehört. Indien hat eine Milliarde Einwohner und die Einkommensverteilung ist sehr ungleich. Nach offiziellen Angaben leben 35 Prozent der indischen Familien unterhalb der Armutsgrenze. Bei den Mittelklasse-Familie  verschieben sich die Prioritäten vom tagtäglichen Überlebenskampf zur Finanzierung der  Ausbildung der Kinder. Deshalb ist es durchaus üblich, zuhause einen Computer zu haben. Die gesamtgesellschaftlichen Prioritäten für Indien sind meiner Meinung nach ziemlich eindeutig: Ernährungssicherheit, Unterkunft, Trinkwasser, Bildung, Kleidung und danach  die neuen Technologien.

epo: Indien verfügt bereits über sehr viele gut ausbildete Fachkräfte im Bereich der  Informationstechnologie. Bleiben sie wirklich im Land und können sie zu einer Entwicklung beitragen oder werden sie von internationalen Firmen, die höhere Gehälter zahlen, abgeworben?

Arunachalam: Die Situation verändert sich. Als ich studierte, gingen viele meiner Kommilitonen, meistens Ingenieure und Naturwissenschaftler, für ein Doktorat in die USA und wenn sich für sie dort eine berufliche Zukunft bot, bleiben sie dort. Mittlerweile ist Abschöpfung des geistigen Potentials kein Problem mehr. Die Vermittlung der neuen Informationstechnologien läuft nicht mehr nur über die Universitäten. Es gibt  viele neue private Einrichtungen, die Softwarespezialisten ausbilden, und das Angebot der Kurse reicht von zwei Wochen bis zu zwei Jahren. Das Angebot steht jedermann  offen, auch bei den Preisen gibt es große Unterschiede. Das Problem, mit dem Indien zur Zeit kämpft, ist ein Mangel an Software-Spezialisten. Viele Computerfirmen müssen lukrative Aufträge aus dem Ausland ablehnen, weil sie nicht genügend Arbeitskräfte  auf dem heimischen Markt rekrutieren können. Das heißt, die Perspektiven auf dem heimischen Markt für Informatiker sind sehr gut, sie müssen nicht mehr auswandern. Dies hat dazu geführt, dass andere Länder wie Costa Rica und Irland  in den Markt der großen Aufträge von internationalen Firmen eingestiegen sind. Indien bekommt Konkurrenz.

epo: Was sollten Regierung und Unternehmen in Indien tun, um die Ausbildung von Computerfachleuten voranzutreiben?

Arunachalam: Es gibt in Indien den Unternehmensdachverband ?Nascom?, National Association of Software Companies. Sie wollen Indien zu einer Softwarepower machen. Doch ihr gesamtgesellschaftliches Engagement lässt zu wünschen übrig.  Einige Firmenchefs spenden beträchtliche Summen an ihre ehemaligen Colleges oder Universitäten, doch es gibt keine systematische Förderung des Schulsystems. Der Staat gewährt Spendern Steuervorteile.

epo: Kann die Informationstechnologie von Entwicklungsländern dazu benutzt werden, ihre strukturelle Armut zu überwinden und den Abstand beim technischen Know-how gegenüber den Industriestaaten zu verringern?

Arunachalam: Internet ist ein Werkzeug, es kommt darauf an, ob man es richtig nutzt. Es gibt gute Beispiele, wie das Internet weltweit zur Demokratisierung und Bildung von Menschen genutzt werden kann. Solche Beispiele müssen Schule machen. Der Schlüssel zu Entwicklung ist nicht  der Zugang zur Technologie, sondern wie die Technologie genutzt wird. Wir brauchen deshalb mehr Fachleute, die  sich um die praktische, sinnvolle Anwendung des Internet bemühen. Das fehlt wirklich. Wir in unserer Stiftung haben zum Beispiel ein Projekt entwickelt, bei dem das Internet in einer kleinen Dorfgemeinde die Arbeit von Bauern unterstützt.

Das Interview führte Astrid Prange

Die Stiftung Swaminathan Research Foundation unterhält in der Nähe der indischen Stadt Pondicherry ein Projekt für die gemeinschaftliche Nutzung des World Wide Webs. Zielgruppe ist die ländliche Bevölkerung. Rund 21.000 Menschen aus 12 Dörfern, von denen die Hälfte weniger als 25 Dollar im Monat verdient, werden über das Internet mit lokalen Informationen versorgt. Dazu gehören unter anderem Wettervorhersagen, Getreidepreise, Transportverbindungen zu den Märkten sowie Informationen über ärztliche Versorgung und Vorbeugung von Krankheiten. Die Informationen laufen in einem mit Computer und Modem ausgestattenen Büro im lokalen Handelszentrum Villianur zusammen und werden von dort aus an drei weitere Zentren innerhalb des gesamten Siedlungsgebietes weiter geleitet. Wichtige Informationen werden per Aushang bekannt gegeben.


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