ActionAid-Plakat Real AidBerlin (epo.de). - Für Experten, die sich mehr oder weniger ihr ganzes Berufsleben der Armutsbekämpfung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) widmen, müsste das Fazit eigentlich ein Armutszeugnis sein: "Ob EZ eher nützt oder schadet, ist nicht eindeutig. Für beides gibt es empirische Evidenzen." Diese Bedenklichkeitsbescheinigung haben sich Oxfam-Berater Dr. Reinhard Hermle und Prof. Dr. Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), selbst ausgestellt. Auf einem internationalen Symposium zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit berieten Experten am Donnerstag in Berlin über "Bewegung oder Verkrustung" - und wurden hinsichtlich der Schwachstellen rasch fündig.

"Man weiß vor allem nicht, was ohne EZ gewesen wäre", konstatierte Reinhard Hermle, ehemaliger Misereor-Mitarbeiter und von 1999 bis 2005 Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik (VENRO), die Unwägbarkeiten einer Wirksamkeitsanalyse. Das Berliner Symposium richtete den Blick auf die internationale Nachfolgekonferenz über die Effektivität von Entwicklungshilfe, die im September 2008 in Accra (Ghana) stattfindet.

Die derzeitige Entwicklungszusammenarbeit orientiert sich sehr stark an den Millenniums-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ziele wie die Halbierung der exremen Armut bis zum Jahr 2015 erreicht werden können, sei "gering", stellte Hermle nüchtern fest. Doch auch wenn das Armutsproblem noch immer überwältigend groß erscheint: Die EZ hat aus der Sicht der Experten dazu beigetragen, dass der Anteil der extrem Armen im Verhältnis zur wachsenden Weltbevölkerung sinkt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in den Ländern des Südens steigt und mehr Kinder eine Grundbildung erfahren als je zuvor.

Dirk Messner betont, wie andere Politikbereiche sei die Wirksamkeit von Entwicklungsprozessen schwer messbar. Entwicklungspolitik als Beitrag zur Gestaltung der Globalisierung müsse "Risikoinvestitionen" vornehmen, wie das Beispiel Afghanistan zeige, und könne nicht immer positive Ergebnisse haben. Und in fragilen Staaten, die in erster Linie Nothilfe erhielten, müsse man einfach auch akzeptieren, dass Erfolge nur begrenzt möglich und darüber hinaus gehende Erwartungen naiv seien.

DAS PROBLEM DER GROSSEN ZAHL

Messner hob insbesondere "das Problem der großen Zahl" hervor: Gerade einmal zwei Prozent der Hilfen für Vietnam würden von den Vereinten Nationen umgesetzt - dafür seien aber vor Ort elf UNO-Organisationen tätig. Im Gesundheitssektor Tansanias tummelten sich mehr als zwei Dutzend internationale Organisationen und Nichtregierungs-Organisationen - eine immense Belastung für die Regierung des Landes, die ihre Politik in den Regierungsverhandlungen mit den Gebern jeweils neu abstimmen muss.

Notwendig ist daher, da sind sich die Experten einig, ein produktiveres Miteinander und eine bessere Arbeitsteilung der Geber untereinander, wie dies die Pariser Erklärung zur Verbesserung der Wirksamkeit der Hilfe vom März 2005 vorsieht.

Hermle fordert insbesondere eine stärkere Ausrichtung der EZ auf die Bereiche Gesundheit, Grundbildung und Ernährungssicherung sowie den Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Auch der Anteil der Budgethilfe, der stärker von den Empfängerländern verwaltet werden kann, soll auf dem Fundament einer verantwortlichen Regierungsführung nach und nach ausgebaut werden.

KONFUSION UND KLEINSTAATEREI

Messner, Direktor des wichtigsten "Think Tanks" des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), plädiert für eine weitere Konzentration der Hilfen auf weniger Empfängerländer: Derzeit hat das BMZ 59 "Partnerländer", 1998 waren es noch 120 gewesen. Doch die Straffung der deutschen EZ, symbolisiert durch die angedachte Fusion der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), geht nicht voran. Und in der europäischen Entwicklungsszene sind größere Akteure wie das Vereinigte Königreich oder Frankreich nach den Worten von Messner noch immer der "Kleinstaaterei" verhaftet und wollen ihre Macht und ihre Einflusssphären nicht so leicht aufgeben.

Hermle sieht trotz unklarer Schadens- oder Nutzanalyse die EZ "unterfinanziert". Zwar seien "gewaltige Summen", geschätzte 560 Milliarden US-Dollar, nach Afrika geflossen, aber nach Berechnungen des Ökonomen und Sonderberaters für die Millennium Development Goals, Jeffrey Sachs, mache das über den Zeitraum von 47 Jahren betrachtet nicht mehr als 24 Dollar pro Kopf und Jahr oder sieben Cent pro Tag aus. Und ein guter Teil der Summe sei in die Taschen der Eliten im Süden oder durch Lieferbindung wieder in den Norden zurück geflossen. Und bereits jetzt sei absehbar, dass die Hilfeversprechungen der G8-Staaten in Gleneagles bis 2010 um 30 Milliarden Dollar verfehlt würden.

Die Entwicklungszusammenarbeit ist "besser als ihr Ruf", ist Reinhard Hermle überzeugt. Vor allem kann sie nicht korrigieren, was in anderen Politikbereichen oder in der Weltwirtschaft an Unheil angerichtet wird: unfaire Konditionen im Welthandel, massive Agrarsubventionen in den USA und der EU, die Spekulation auf den Finanzmärkten, die erzwungene Öffnung der Märkte im Süden, Agrardumping, Ölkriege, Biopiraterie, Korruption und schlechte Regierungsführung in Geber- wie Empfängerländern.

www.oxfam.de
www.die-gdi.de
www.bmz.de

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