mmBerlin (epo.de). - Die Frauenrechtsorganisation medica mondiale hat die Bundesregierung aufgefordert, “Frauenrechte endlich zu einem zentralen Bestandteil ihrer Afghanistan-Strategie zu machen”. In einem öffentlichen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier drängte medica mondiale am Freitag auf ein entschiedenes Eingreifen seitens der deutschen Politik, um das schiitische Familiengesetz in Afghanistan in seiner jetzigen Form zu verhindern.

“In den letzten fünf Jahren sind auf deutscher sowie internationaler Entscheidungsebene der Schutz und die Förderung von Frauen und Mädchen während des Wiederaufbaus in Afghanistan gänzlich ins Hintertreffen geraten”, kritsierte medica mondiale. “Wenn ein Wiederaufbau auch im Innern der Gesellschaft stattfinden soll, ist es unumgänglich, die Rechte afghanischer Frauen endlich dauerhaft zu stärken”, sagte die Gründerin der Organisation und alternative Nobelpreisträgerin, Monika Hauser.

Die Frauenhilfsorganisation forderte Merkel und Steinmeier auf, die weitere Entwicklung bezüglich des Familiengesetzes kritisch im Auge zu behalten. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die afghanische Regierung “den Skandal einfach aussitzt”, sagte Selmin Çalişkan, Bereichsleiterin Politik und Menschenrechte von medica mondiale.

Die Regierungsvertreter sollten am Vortag eines Treffens zwischen Präsident Hamid Karsai und Vertretern eines Netzwerkes afghanischer zivilgesellschaftlicher Organisationen (the Afghan Civil Society Network) Einfluss auf die afghanische Regierung nehmen, schlägt medica mondiale vor. Während des Treffens am 18. April geht es um die angekündigte Überprüfung des Gesetzes. Die Bundesregierung müsse dabei die möglichen negativen Auswirkungen auf die internationale Zusammenarbeit im Falle einer Umsetzung des Gesetzes verdeutlichen.
 
Überfällig sei auch, dass die Bundesregierung ein auf 10 bis 15 Jahre angelegtes, ressortübergreifendes Aufbaukonzept vorlege, das Frauen und Mädchen in Kernbereichen wie Bildung, Gesundheit sowie Friedens- und Aufbauprozessen beteiligt und sich in seiner konkreten Umsetzung auf die UN-Resolutionen 1325 und 1820 bezieht.

“Wären Frauen und Mädchen in den letzten sieben Jahren zentraler Bestandteil des internationalen Afghanistan-Engagements gewesen, hätte es gar nicht erst zu einer Verschärfung des Klimas für die Durchsetzung von Frauenrechten kommen können”, so eine afghanische Mitarbeiterin von medica mondiale in Kabul. “Die internationale Gemeinschaft hat durch ihr ignorantes Verhalten mit dafür gesorgt, dass ein solches Gesetz verabschiedet werden konnte und viele Frauenrechtlerinnen durch ihr mutiges und öffentliches Eintreten für Frauenrechte um ihr Leben fürchten müssen.”

KOLLATERALSCHÄDEN DER BOMBEN

Nach den Erkenntnissen von medica mondiale haben der unzureichende Wiederaufbau, die wachsende Armut und “NATO-Bombenangriffe auf ZivilistInnen” die Gewalt gegen westliche Entwicklungsfachkräfte und die Ablehnung von Frauenrechten als ausschließlich westlicher Wert genährt. “Dies hat in erheblichem Maße zur Verschlechterung der Lebenssituation von Frauen beigetragen”, sagte Monika Hauser.

Einzelne Paragraphen des schiitischen Familiengesetzes hatten Anfang April weltweites Entsetzen ausgelöst, da sie die in der afghanischen Verfassung verbrieften Rechte von Frauen verletzen. Unter anderem sieht das neue Gesetz vor, dass Frauen ihren Ehemännern jederzeit sexuell zur Verfügung stehen müssen und somit Vergewaltigung in der Ehe erlaubt wäre. Es verbietet Frauen, ohne die Erlaubnis ihrer Ehemänner arbeiten zu gehen, mit Ausnahme medizinischer und anderer Notfälle das Haus zu verlassen und gesteht das Sorgerecht für Kinder im Fall einer Scheidung ausschließlich Vätern und Großvätern zu.

Afghanische Frauenorganisationen hatten schon in den letzten beiden Jahren durch hartnäckige Verhandlungen mit dem Justizminister, dem Höchsten Gerichtshof und Imamen erreicht, dass einige frauenfeindliche Paragraphen des Gesetzes entfernt wurden.
 
medica mondiale setzt sich seit 15 Jahren für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten ein. Dabei versteht sich die Organisation als Anwältin für die Rechte und Interessen von Frauen, die sexualisierte Kriegsgewalt überlebt haben. Neben gynäkologischer Versorgung, psychosozialer und rechtlicher Unterstützung bietet medica mondiale Programme zur Existenzsicherung und leistet politische Menschenrechtsarbeit.
 
www.medicamondiale.org
 
 

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