Berlin (epo). - Die Staats- und Regierungschefs der reichsten Industrienationen der Welt (G8) treffen sich vom 6.-8. Juli in der schottischen Stadt Gleneagles. Die von Gastgeber Tony Blair auf die Tagesordnung gesetzten Hauptthemen der Beratungen sind die Aufstockung der Entwicklungshilfe insbesondere für Afrika und das Problem des Klimawandels. US-Präsident George W. Bush hat bereits signalisiert, er werde kein Abkommen unterzeichnen, das wie das Kyoto-Protokoll eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen vorsieht. Auch bei der Frage, wie mehr Entwicklungshilfe finanziert werden soll, sind die G8 Staaten unterschiedlicher Meinung. Bush und Blair werden vermutlich auch das Thema Agrarsubventionen auf den Verhandlungstisch bringen.
Im Vorfeld des Gipfels hatten zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit an die G8 appelliert, Beschlüsse für mehr Entwicklungshilfe, einen wirksamen Schuldenerlaß für die ärmsten Länder und einen gerechten Welthandel zu fassen. Mit "Live 8"-Konzerten in zehn Metropolen, die von rund zwei Milliarden Menschen weltweit verfolgt wurden, hatten Popstars diese Forderungen unterstützt.
Der G8 Gipfel in Gleneagles wird das aufwändigste und teuerste Politikertreffen in der Geschichte Großbritanniens. Die Kosten werden auf rund 140 Millionen Euro geschätzt. Allein der Einsatz von rund 10.000 Polizisten, die das Luxus-Golfhotel Gleneagles in Perthshire (Schottland) abschirmen sollen, kostet mehr als 80 Millionen Euro.
UN-Generalsekretär Kofi Annan appellierte in einem Brief an die G8-Staatschefs, die entscheidenden Schritte zur Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu beschliessen. "Den politischen Willen vorausgesetzt, haben wir die Möglichkeit, die extreme Armut und den Hunger in der Welt sowie den Anteil der Menschen ohne sauberes Trinkwasser zu halbieren", schrieb Annan. Die Geberländer müssten dazu die Entwicklungshilfe erhöhen, mehr Schulden erlassen und im Rahmen der Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO einwilligen, den armen Ländern eine faire Wettbewerbschance zu geben. An jedem Entwickungsland liege es, eine bessere Regierungsführung an den Tag zu legen, die Korruption zu bekämpfen, die Privatwirtschaft zu fördern, Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen und das Potential an eigenen Ressourcen auszuschöpfen.
Die Aufstockung der Afrika-Hilfen will der britische Premierminister Tony Blair vor allem durch eine Abgabe auf Flugtickets finanzieren. Einen Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush wollten diese Pläne "ausbremsen", wies die deutsche Bundesregierung zurück: "Die Bundesregierung hat während der Vorbereitungstreffen zum G 8-Gipfel in dieser Frage eine konstruktive Haltung eingenommen und wird dies auch in Gleneagles tun", erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg.
Im Vorfeld des G8 Gipfels hatten die Finanzminister der sieben reichsten Industriestaaten Mitte Juni einen weitgehenden Schuldenerlaß vereinbart, der von den Staatschefs abgesegnet werden soll. Der Schuldenerlaß für zunächst 18 der am höchsten verschuldeten armen Länder (HIPC) soll deren Verbindlichkeiten bei der Weltbanktochter International Development Agency (IDA), dem Internationale Währungsfonds (IWF) und der Afrikanischen Entwicklungsbank betreffen. Aber die erlassene Summe - insgesamt ist von rund 45 Milliarden Euro die Rede - wird von künftigen Entwicklungshilfegeldern abgezogen. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde dieses Nullsummenspiel dreist als "historischer Durchbruch" gefeiert. Gewinner sind einzig die multilateralen Finanzinstitutionen, deren Außenstände von den G8 Staaten übernommen werden sollen.
BEWEGUNG BEIM MARKTZUGANG?
Das Thema, das den Entwicklungsländern am meisten am Herzen liegt, ist ein ungehinderter Zugang für ihre Agrarprodukte zu den Märkten der westlichen Industriestaaten. Nach Berechnungen der Welthandelsorganisation (WTO) könnte das Bruttosozialprodukt der Entwicklungsländer damit um bis zu 240 Milliarden Dollar gesteigert werden. Armut habe in Zeiten der Globalisierung auch Vorteile, schrieb die "Welt am Sonntag" (3. Juli 2005): "Aus niedrigen Lebensstandards ergeben sich niedrige Kosten, die wettbewerbsfähig machen. Besonders bei landwirtschaftlichen Produkten könnten die meisten Entwicklungsländer leicht mit den Industriestaaten konkurrieren und sich so langsam eine produktive Wirtschaftsbasis zulegen. Wenn man sie denn ließe. Denn wo eigene Arbeitsplätze anfangen, hört das Mitleid mit der Dritten Welt schnell auf."
Die Handelsminister der ärmsten Entwicklungsländer (LDCs) hatten Ende Juni bei einem Treffen in Livingstone (Sambia) eine 38 Punkte umfassende Erklärung verabschiedet. Darin hatten sie eine bindende Verpflichtung gefordert, die ihren Produkten einen ungehinderten Zugang zu den Märkten der Industrienationen garantieren soll. Das Thema wird aber wohl erst beim WTO-Gipfel im Dezember in Hongkong eine größere Rolle spielen.
Tony Blair liess mit der Forderung, über eine Aufhebung des britischen Beitragsrabatts in der EU nur zu diskutieren, wenn im Gegenzug die EU-Agrarsubventionen zur Disposition gestellt werden, die Verhandlungen über den EU-Haushalt 2007-2013 scheitern. Gemeinsam mit US-Präsident George W. Bush bringt er nun vermutlich auch auf dem G8-Gipfel Bewegung in dieses Thema. Der französischen Zeitung "Le Figaro" sagte Blair, es entspreche keiner modernen EU-Finanzplanung, wenn in zehn Jahren noch immer 40 Prozent des EU-Etats für Agrarsubventionen ausgegeben würden.
US-Präsident Bush erklärte nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" in einem TV-Interview, die USA würden ihre Beihilfen für die Landwirtschaft einstellen, wenn die EU auf ihre Subventionen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik verzichte. Eine Öffnung der westlichen Agrarmärkte würde den afrikanischen Ländern in einem Maße helfen, dass Hilfsgelder überflüssig würden.
In einem Zeitungsinterview ("Die Welt", 4.7.2005) machte der neue Weltbank-Präsident und frühere stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz bereits deutlich, welchen Preis die Entwicklungsländer für mehr Hilfe und bessere Bedingungen auf den Weltmärkten zahlen müssten: die völlige Öffnung ihrer Märkte für westliche Konzerne. "Wir reden nicht losgelöst über Hilfe, das hat Tony Blair ganz deutlich gemacht. Es gibt einen Deal für einen Deal. Es geht um Hilfe für eine Gegenleistung. Regierungsfähigkeit bedeutet gemeinsame Verantwortung. Es ist nicht nur Aufgabe afrikanischer Regierungschefs, die Korruption zu bekämpfen. Es geht auch um bessere Verhaltensweisen im Falle multinationaler Firmen."
Internationale Hilfsorganisationen haben den acht reichsten Ländern der Welt (G8) Heuchelei bei der Bekämpfung der Armut und der Durchsetzung der Menschenrechte vorgeworfen. Wer von Armutsbekämpfung und Menschenrechten rede, müsse zudem mit der Kontrolle von Rüstungstransfers Ernst machen. 84 Prozent aller weltweit gehandelten Waffen, Munition und militärischen Ausrüstungen stammten aus den Staaten der G8. Die G8 Staaten trügen nach wie vor massiv zu Menschenrechtsverletzungen und Armut bei, wie ein von amnesty international (ai), Oxfam und dem Internationalen Aktionsnetznetzwerk zu Kleinwaffen (IANSA) veröffentlichter Bericht belege.
BUSH UND DER KLIMAWANDEL
US-Präsident George W. Bush will auf dem G8 Gipfel die vom Menschen mit verursachte Erwärmung des Erklimas endlich als Fakt anerkennen. In einem Interview mit dem britischen TV-Sender ITV betonte er aber, er werde kein Abkommen unterzeichnen, das wie das Kyoto-Protokoll eine Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen vorsehe. "If this looks like Kyoto, the answer is no", erklärte Bush. "The Kyoto treaty would have wrecked our economy, if I can be blunt." Statt dessen setze er auf "neue Technologien" als Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels wie die Speicherung von Kohlendioxid in unterirdischen Schächten, durch Wasserstoff angetriebene Autos oder Null-Emmissions-Kraftwerke.
G8 ALTERNATIVES
Um gegen die Politik der G8 zu protestieren, sind rund um das Gipfeltreffen in Gleneagles (6.-8. Juli 2005) diverse Aktionen geplant. "Die Anmaßung der G8 als Weltregierung und ihre konkrete Politik wollen wir nicht schweigend akzeptieren", sagte Christiane Metzner von Attac. Unter dem Motto "Make Poverty History" fand am 2. Juli bereits eine Großdemonstration mit rund 200.000 Teilnehmern in Edinburgh statt. Eine internationale Gegenkonferenz (G8 Alternatives) hat bereits begonnen, und in den schottischen Highlands nahe dem Gipfelort Gleneagles wurde ein großes Protestcamp eingerichtet.
Auf einer G8 Alternatives-Konferenz kritisierten Aktivisten am Sonntag die G8-Pläne für vermehrte Afrika-Hilfen als unzureichend und unglaubwürdig. Der ehemalige Labour-Abgeordnete George Galloway warf Premierminister Tony Blair Zynismus vor. Blair wolle Brosamen verteilen, statt das System zu ändern, das für die Armut auf dem afrikanischen Kontinent verantwortlich sei, erklärten Kritiker.
DIE G8
Der so genannten Gruppe der Acht (G8) gehören die sieben führenden Industrienationen der Welt - Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Kanada, Japan, die USA - und Russland an. Die Treffen der G8, die auf den Ölpreisschock der 70er Jahre zurück gehen, sind informellen Charakters, da die G8 nicht als internationale Organisation gilt. Dennoch werden auf den G8-Treffen wichtige Beschlüsse gefasst, die für die Politik in internationalen Gremien richtungsweisend sind. Neben der wirtschaftlichen Lage in den Industrie- und Entwicklungsländern stehen in jüngster Zeit vermehrt Themen des aktuellen Weltgeschehens im Mittelpunkt der Beratungen. Die G8 Länder vereinigen rund 50 Prozent des Welthandels und des Weltbruttosozialproduktes auf sich.
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? G8 Website der britischen Regierung
? G8 Informations Centre (Univ. of Toronto)
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? Dissent