Koranschule im NigerZinder (epo). - Inmitten des Schulgeländes fällt der sauber gefegte Hof ins Auge. Zu hören sind Stimmen der zahlreichen Schüler, die singend den Koran lernen. In einem der Räume stehen fünf große Tische und Bänke. Der Deckenventilator dreht sich langsam und hilft dabei, die Luft im engen Raum ein klein wenig zirkulieren zu lassen.

Heute sitzen an den Tischen und Bänken zehn Mädchen und 17 Jungen im Alter zwischen acht und 18 Jahren, ordnungsgemäß voneinander getrennt, die Jungen in den vorderen, die Mädchen in den hinteren Reihen.

An der Tafel steht der Lehrer in seinem traditionellen Baumwollgewand, dem "Boubou". Neben der Tafel ist ein Stück Stoff aus Baumwolle aufgehängt. Der Stoff ist bemalt und erkennbar wird ein Bild von Frauen, an einer Strasse stehend, die ihre Garküchen neben "stehendem" Wasser aufgebaut haben. Gleich daneben erkennt man auf dem Bild den "Marabout", einen Korangelehrten, der seine Schüler auf dem Boden, unter einem Baum sitzend, unterrichtet.

Koranschule im Niger. Foto: DED

Wir befinden uns in einer so genannten "reformierten Koranschulen" in Zinder, einer Grosstadt im Süden des Niger, etwa 1.000 Kilometer von der Hauptstadt Niamey entfernt und unweit der Grenze zu Nigeria. Unter einer "reformierten Koranschule" versteht man eine "moderne" Schule, die mit Tischen und Bänken ausgestattet ist und über Strom verfügt.

In der Regel sind die rund 50.000 Koranschulen in Niger (Angaben von UNICEF) viel einfacher, eher dürftig oder gar nicht ausgestattet, etwa so, wie es uns das Bild auf dem Baumwolltuch an der Tafel zeigt.

Sicher ist die Koranschule auch deswegen "modern", weil, so wie heute, zeitweise ein ungewöhnlicher, ein besonderer Unterricht stattfindet. Anstatt des üblichen Auswendiglernens von 60 Koranversen wird über Hygiene und Umwelt gesprochen. Jeder der Schüler hält ein Heft in den Händen, in dem viele Informationen über Körper- und Haushaltshygiene, über Gesundheit und gesunde Nahrung zu finden sind. Auch wie man eine Malaria oder Bilharziose vermeiden kann, ist anschaulich beschrieben. Sogar über den Umgang und die Entsorgung von Plastiktüten, eine wahre Plage im Land, wird informiert.

Diese Hefte für den Umwelt- und Hygieneunterricht sind in zwei Versionen gefasst: einmal auf französisch und einmal auf Haussa, aber in arabischer Schrift, in so genanntem Ajami. Die Schüler haben sich die Hefte in Ajami zu Hause angeschaut, und jetzt beantworten sie die Fragen des Lehrers. Sie sind sehr begeistert, insbesondere die Mädchen, die bei jeder Frage mit den Fingern schnipsen, um die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich zu lenken.

Umweltunterricht in einer Koranschule zu etablieren und zu integrieren, das ist der Versuch der lokalen Nichtregierungsorganisation "ONEE" (Organisation nig?rienne pour l'?ducation environnementale / Nigrische Organisation für Umwelterziehung). Einen Teil ihrer Zielgruppe über diesen ungewöhnlichen Weg zu erreichen, ist eine kluge Entscheidung der ONEE. Laut ONEE sind 80% der Erwachsenen in Zinder dank des Koranlernens in der Lage, die arabische Schrift zu lesen. Wenn sie den Kindern ein solches Heft in Ajami gibt, hat es eine multiplikatorische Wirkung, da die ganze Familie und Freunde davon profitieren. Sie sind daran gewöhnt, Dokumente aus Nigeria zu lesen, warum nicht auch ein Informationsblatt über Hygiene und Umweltschutz?

"Außerdem", so Fatima Altin?, die Hauptanimateurin der NRO, "ist die Verbindung zwischen Umwelterziehung und Islam selbstverständlich": Sauberkeit sei die Hälfte des Glaubens, so ein berühmter Hadith (ein belegter Ausspruch oder eine Tat) des Propheten Mohammed. Ein guter Moslem müsse gesund und sauber sein. Dieser Grundsatz dürfe nicht an der Hof- oder Grundstücksgrenze enden. Die Umsetzung hierfür sei "eine wahre Herausforderung in diesem Land".

1993 wurde die Idee, ein Umweltbewusstsein über die Koranschulen zu etablieren und Informationen über die Koranschulen zu verbreiten, von der "IUCN" (International Union for the Conservation of Nature) initiiert. Die NRO "ONEE" setzt dies in die Tat um.

Koranschule im Niger. Foto: DED

Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) im Niger unterstützt "ONEE" im Rahmen des EO-Programms. In Kooperation mit "FEMPOL", dem "Fonds pour l'ex?cution des micro-projets par les organisations locales" der niederländischen Botschaft in Ouagadougou (Burkina Faso) unterstützt das PPOL-Büro in Zinder ("Programme de promotion des organisations locales" / Programm zur Förderung einheimischer Organisationen) "ONEE" bereits seit zwei Jahren. Der Kleinprojektefonds, der von FEMPOL zur Verfügung gestellt wird, wird vom PPOL-Büro in Zinder verwaltet. Auch die beratende Unterstützung der ONEE bei der Projektabwicklung wird in Zinder sichergestellt.

Es ist ein Experiment des DED-Niger, um zu sehen, ob und inwieweit man mit den Koranschulen zusammenarbeiten kann. Der DED unterstützt die Grundbildung durch die Mitarbeit von drei Entwicklungshelfern. Der Unterricht findet hier in den Lokalsprachen Haussa, Zarma, Fulfulde, Tamashek etc. statt. Französisch wird als Fremdsprache unterrichtet.

Es ist eine Tatsache, dass immer mehr Eltern die Koranschulen für die schulische Erziehung ihrer Kinder vorziehen. Die staatlichen Schulen bieten, nicht zuletzt aufgrund des niedrigen Niveaus, wegen häufiger Unterrichtsausfälle durch Streiks und der wenig attraktiven Unterrichtszeiten im ländlichen Raum, nicht wirklich eine Alternative zu den Koranschulen. Hinzu kommt, dass in staatlichen Schulen in der Unterrichtssprache Französisch gelehrt wird, einer Sprache, die von einem Großteil der Bevölkerung nicht beherrscht wird. Auch die Nähe zum Norden Nigerias, in dem das Scharia-Rechtsystem existiert, beeinflusst die Entscheidung der Eltern entscheidend, ihre Kinder eher in die Koranschulen zu schicken.

Koranschule im Niger. Foto: DED

"Die Koranschulen vermitteln neben dem Lernen der 60 Suren des Koran auch Grundregeln für das Zusammenleben", so die sechzehnjährige Awa Umusa in der siebten Klasse. Sie könne, so die Schülerin, dank dieses Unterrichts für ihr Leben besser beurteilen, was gut und was schlecht für sie sei. Das sei für sie das Wichtigste. Die Koranschulen seien für Mädchen besser als die "französischen Schulen" (staatliche Schulen), so Awa Umusa weiter, in diesen würden sie doch nur "schlechte" Manieren lernen. In der Koranschule hingegen lerne man, wie sich eine Frau "richtig" zu benehmen habe.

Die nigrische Bevölkerung versucht, mit dieser Tatsache so gut als möglich umzugehen. Nicht zuletzt deshalb bindet man immer häufiger Korangelehrte, die Imame, in Projekte ein und reicht ihnen die Hand zum wichtigen Dialog und Austausch.

Am Beispiel der Schülerin Awa Umusa in der Koranschule in Zinder zeigen sich die ersten Erfolge. Sie würde gern zusätzlich Haushaltsunterricht haben. Am liebsten würde sie parallel zur Koranschule die staatliche Schule besuchen. "Ich werde mich dafür bei meinen Kindern einsetzen", sagt sie.

Dominique Thaly (DED)
Fotos:  Dominique Thaly (DED)


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