Berlin (epo.de). - 90 Prozent aller Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) haben die Kernarbeitsnormen gegen Diskriminierung ratifiziert und sich damit zur Verabschiedung entsprechender Gesetze verpflichtet. Doch Gesetze allein reichen nicht aus, um Diskriminierung wirksam zu bekämpfen. Dies zeigt der zweite globale Diskriminierungsbericht der ILO, der am Donnerstag in Brüssel und Berlin vorgestellt wurde.

Der Bericht lenkt die Aufmerksamkeit von Regierungen und Sozialpartnern auch auf neue Formen der Diskriminierung, die noch zu wenig Beachtung finden - beispielsweise aufgrund von Alter, HIV/AIDS, eines ungesunden Lebensstils oder der Wahrscheinlichkeit bestimmter genetischer Krankheiten.

Die meisten Fälle von Diskriminierung betreffen der ILO zufolge nach wie vor Frauen. Die ILO betont in ihrem Bericht daher die herausragende Bedeutung von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. "Das ist der Punkt, an dem man ansetzen muss, um zu einer Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt zu gelangen", sagte Martin Oelz, Rechtsexperte der ILO für Gleichberechtigungsfragen, bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. "Hier geht es nicht nur um Kinderbetreuungsplätze oder gesetzliche Regelungen, sondern auch um konkrete Maßnahmen am Arbeitsplatz und um eine direkte Beteiligung der Sozialpartner."

So sollten familienfreundliche Maßnahmen nicht nur Frauen, sondern auch Männern offen stehen. In einigen Ländern, wie Island und Dänemark, wurden bestimmte Maßnahmen gezielt für Männer vorgesehen, beispielsweise ein besonderer Kinderbetreuungsurlaub nur für Männer. Nur wenn deutlich gemacht werde, dass die Wahrnehmung von Familienpflichten durch Männer sozial gewollt und akzeptiert wird, könne ein notwendiger Umdenkprozess stattfinden. Auch die Sozialpartner könnten durch entsprechende Ausgestaltung von Tarifverträgen einen Beitrag leisten, etwa indem Erziehungspausen nicht zu einer niedrigeren Einstufung führen. 

In Deutschland werden Frauen immer noch weniger eingestellt, rücken seltener in Führungspositionen und verdienen deutlich weniger als Männer. So beträgt das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern laut dem Gleichstellungsbericht der EU-Kommission 22 Prozent, womit Deutschland in der EU auf dem viertletzten Platz landet. Auch die EU nennt die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf als zentrales Hindernis auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung.

In diesem Zusammenhang bedauerte Oelz, dass Deutschland dem ILO-Übereinkommen Nr. 156 über Arbeitnehmer mit Familienpflichten nicht beigetreten ist. Dieses biete Lösungsansätze zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es gilt als eines der vier grundlegenden ILO-Übereinkommen zur Förderung der Gleichberechtigung, das von immer mehr Staaten ratifiziert wird - in Europa sind es bereits 19. Die Bundesregierung habe dies 1985 jedoch abgelehnt mit der Begründung, dass sonst eine Anpassung des Kündigungsschutzrechts nötig sei.

Die weiterbestehenden Nachteile der Frauen im Berufsleben gebe laut Oelz jedoch Anlass, den Beitritt anzustreben. Die damaligen Bedenken der Bundesregierung sollten auf der Basis der internationalen Anwendungspraxis des Übereinkommens neu bewertet werden. "Eine Ratifikation durch Deutschland wäre ein deutliches Signal politischen Willens, die Gleichberechtigung aktiv zu fördern", sagte Oelz. "Sie wäre auch eine Plattform, um Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf sozialpartnerschaftlichem Wege umzusetzen."

www.ilo.org


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