Bielefeld (epo). - Deutsche Pharmafirmen gehören zu den größten Anbietern von Arzneimitteln in der Dritten Welt. Eine neue Arzneimittelstudie von entwicklungspolitischen Gruppen kratzt jetzt am positiven Image der Branche. Vier von zehn Medikamenten deutscher Firmen mussten demnach negativ bewertet werden.
Zum vierten Mal ließ die BUKO Pharma-Kampagne das Arzneimittelangebot deutscher Hersteller in den Ländern des Südens durch ExpertInnen bewerten. Zum wissenschaftlichen Team gehörten dabei u.a. der renommierte Pharmakologe Prof. Dr. Peter Schönhöfer sowie Dr. Günter Hopf, Arzt für Pharmakologie und Toxikologie und Apotheker.
Das Fazit der Studie: Von über 2.500 bewerteten Arzneimitteln müssten fast 1000 (39%) nach klinisch-pharmakologischen Kriterien als irrational gelten. Nicht wenige dieser Mittel seien sogar gefährlich und einige in Deutschland verboten. Bei vielen sei der therapeutische Nutzen nicht ausreichend belegt.
In Brasilien gibt es nach Angaben der BUKO Pharma-Kampagne mit 333 irrationalen Produkten besonders viele fragwürdige deutsche Medikamente. Irrationale Arzneimittel schadeten aber nicht nur einzelnen PatientInnen. Sie verschwendeten knappe Ressourcen und verursachten unnötige Kosten, so die Kampagne. Vor allem in den fünfzig ärmsten Ländern, in denen weniger als fünf US-Dollar pro Kopf und Jahr für Medikamente zur Verfügung stehen, habe dies gravierende Folgen.
Kombinationspräparate mit mehreren Wirkstoffen machten der Studie zufolge fast die Hälfte aller negativ bewerteten Arzneimittel aus. So seien 70 von 80 Vitaminpräparaten negativ bewertet worden, meist "unsinnige Kombinationen".
Aber es gebe auch weitaus Gefährlicheres, so die BUKO Pharma-Kampagne: Mehrere Firmen böten metamizolhaltige Schmerzmittel-Kombinationen an, die eine lebensbedrohliche Blutbildungsstörung (Agranulozytose) und einen Schock auslösen könnten. Solche Mittel seien in Deutschland seit 1986 verboten. Besonders bedauerlich sei die Tatsache, dass das Angebot der deutschen Pharmaindustrie für wichtige Erkrankungen in den untersuchten Ländern äußerst dürftig sei. So habe es lediglich elf Malariamittel und elf Mittel gegen Wurmerkrankungen gegeben. Medikamente gegen AIDS fänden sich sogar nur zwei.
Zwischen den 33 deutschen Herstellern, so die Pharma-Kampagne, gebe es gravierende Unterschiede in der Qualität des Angebots. Während jedes zweite Mittel von Byk Gulden/Altana, Boehringer Ingelheim oder E. Merck irrational bewertet worden sei, sei es bei Fresenius nur jedes achte. Drei Hersteller vermarkteten mehr als die Hälfte (534) aller negativ bewerteten Medikamente (996). Spitzenreiter sei E.Merck mit fast 200 irrationalen Arzneimitteln, dicht gefolgt von Hoechst/Aventis und Boehringer Ingelheim. Jedes vierte fragwürdige Mittel böten dieselben Firmen auch in Deutschland an.
Literaturhinweise:
Sprudelnde Geschäfte: Deutsche Medikamente in der Dritten Welt führt in verständlicher Sprache in die Problematik ein. Zahlreiche Beispiele sowie Parallelen zum deutschen Markt bieten Zündstoff für kritische VerbraucherInnen.
Sprudelnde Geschäfte: Deutsche Medikamente in der 3. Welt
BUKO Pharma-Kampagne (Hrsg.), Bielefeld 2004, 20 Seiten, durchgehend farbig
ISBN 3-928879-23-5 Preis: 5 EUR
Die Fachpublikation Daten und Fakten 2004 bietet detaillierte Hintergrundinformationen und präsentiert sämtliche Daten und Auswertungen. Die Broschüre gibt einen umfassenden Einblick in die Qualität des Arzneimittelsortiments deutscher Firmen in 46 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Die Fachpublikation erläutert Studienkonzeption und -methodik. Sie enthält zahlreiche Tabellen und Grafiken, sowie erklärende Texte. Alle untersuchten Arzneimittel sind samt Bewertung in einem Anhang nach Firmen sortiert aufgelistet.
Daten und Fakten 2004: Deutsche Medikamente in der 3. Welt.
BUKO Pharma-Kampagne (Hrsg.), Bielefeld 2004, 56 Seiten
ISBN 3-928879-24-3 Preis: 10 EUR