HDR 2009Berlin (epo.de). - In jedem Jahr überwinden mehr als fünf Millionen Menschen aus Entwicklungsländern internationale Grenzen, weil sie sich in einem entwickelten Land bessere Lebenschancen erhoffen. Die Zahl der Migranten, die in ein anderes Entwicklungsland oder innerhalb ihres eigenen Landes umziehen, ist jedoch wesentlich höher, heißt es im Bericht über die menschliche Entwicklung 2009 mit dem Titel "Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung". Der am Montag veröffentlichte Bericht plädiert für einen offenen Umgang mit dem Thema Migration und für den Abbau von Vorurteilen. "Anders als gemeinhin angenommen, heben Migranten die Wirtschaftsleistung üblicherweise an und geben mehr, als sie nehmen", stellt der Report fest. Dem "Human Development Report 2009" (HDR 2009) zufolge leben rund 200 Millionen Menschen weltweit außerhalb ihres Heimatlandes. Weniger als 70 Millionen von ihnen sind von einem Entwicklungsland in ein entwickeltes Land gezogen. Die meisten Wanderungsbewegungen gehen jedoch nicht über Landesgrenzen hinweg. Schätzungen zufolge sind rund 740 Millionen Menschen Binnenmigranten – fast viermal so viele wie internationale Migranten.

Der Bericht, der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) herausgegeben wird, räumt mit einigen Stereotypen in der Wahrnehmung von Migration auf. Die weit verbreiteten Befürchtungen, Migration habe negative Auswirkungen auf die Zielländer, seien "übertrieben und oft unbegründet". "Obwohl gerade der Migration von Afrika nach Europa große Aufmerksamkeit geschenkt wird, leben nur 3 Prozent der Afrikaner in einem Land, in dem sie nicht geboren wurden, und weniger als ein Prozent der Afrikaner lebt in Europa", hält der Bericht fest.

"Menschliche Migration ist ein sehr umfangreiches, oft nicht beachtetes Thema, bei dem die Meinungen auf vielen Seiten der Debatte gespalten und eingefahren sind", sagt die Hauptautorin des Berichts, Jeni Klugman. "Der Bericht trägt mit Nachweisen und Daten zu einer Diskussion bei, die ansonsten oft von Emotionen und Anschuldigungen geprägt ist."

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Quelle: HDR 2009


Die meisten Migranten stammen nicht aus den ärmsten Ländern. Die mittlere Migrationsquote eines Landes mit niedriger menschlicher Entwicklung liege unter vier Prozent, so der Bericht. Aus Ländern mit einem hohen menschlichen Entwicklungsstand wandern hingegen mehr als acht Prozent der Bevölkerung aus. Der Anteil von internationalen Migranten an der Weltbevölkerung blieb in den vergangenen 50 Jahren überdies stabil: bei rund drei Prozent.

"Eine weitere Erkenntnis lautet, dass die Mehrheit der Migranten keineswegs Opfer, sondern an ihrem ursprünglichen wie an ihrem neuen Wohnort in der Regel recht erfolgreich sind", schreibt UNDP-Administratorin Helen Clark im Vorwort des HDR 2009. "Bei allen Aspekten der menschlichen Entwicklung, nicht nur beim Einkommen, sondern auch bei Gesundheit und Bildung, sind die Ergebnisse überwiegend positiv. Zum Teil sind die Vorteile sogar immens und kommen den Menschen aus den ärmsten Gebieten am stärksten zugute."

VOM OBSTPFLÜCKER BIS ZUM PROGRAMMIERER

Ein einheitliches Profil von Migranten gibt es nicht. Sie sind Obstpflücker, Krankenschwestern, politische Flüchtlinge, Bauarbeiter, Wissenschaftler oder EDV-Programmierer. Der Report geht davon aus, dass der Migrationsdruck angesichts auseinanderdriftender wirtschaftlicher und demografischer Trends in den kommenden Jahrzehnten noch zunehmen wird. Während die Bevölkerung in vielen Ländern des Südens stark wächst, sind viele Industriestaaten überaltert, und ihre Einwohnerzahl schrumpft.

"Die Lebenschancen sind weltweit extrem ungleich verteilt. Diese Ungleichheit ist der wichtigste Antrieb für Migration", heißt es zu den Migrationsursachen. Viele Ängste in den Zielländern seien unbegründet. So sei in detaillierten Studien nachgewiesen worden, dass "Zuwanderung im Allgemeinen die Beschäftigungsquote in der Zielgemeinde steigen lässt, Ortsansässige nicht vom Arbeitsmarkt ausgrenzt und die Investitionsquote in neue Unternehmen und Initiativen erhöht".

Auch das Argument, die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften, besonders in den Dienstleistungsbereichen Bildung und Gesundheit, schade den Entwicklungsländern, lässt der Bericht über die menschliche Entwicklung nicht gelten. Abgesehen davon, dass dieser "brain drain" kaum zu verhindern sei, müssten "die strukturellen Probleme wie niedrige Bezahlung, unzureichende Finanzierung und schwache Institutionen" angegangen werden, die diesem Prozess zugrunde liegen.

Migration seit 1960
Quelle: HDR 2009


Die Überweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer summieren sich mittlerweile auf Beträge, die weit höher sind als die jährlichen Entwicklungshilfeleistungen der Industriestaaten. Aufgrund der aktuellen Weltwirtschaftskrise wurden jedoch viele Migranten, die ihre Familienangehörigen in der Heimat unterstützen, entlassen. UNDP schätzt, dass diese Geldtransfers von Migranten in Entwicklungsländer deshalb von rund 308 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008 auf 293 Mrd. Dollar zurückgehen.

MIGRATIONSPOLITIK VERBESSERN

Der Bericht über die menschliche Entwicklung 2009 befasst sich mit der Frage, wie eine bessere Migrationspolitik die menschliche Entwicklung stärken kann. Er plädiert dafür, dass Regierungen "die Beschränkungen von Binnen- und grenzüberschreitender Wanderung abbauen, um so die Wahlmöglichkeiten und Freiheiten der Menschen zu erweitern".

Die wichtigsten Reformvorschläge der Autoren des Berichts betreffen sechs Bereiche: eine stärkere Öffnung bestehender Zuwanderungskanäle, sodass mehr Arbeitnehmer emigrieren können; die Gewährleistung der grundlegenden Rechte von Migranten; die Senkung der Transaktionskosten von Migration; die Suche nach Lösungen, die sowohl für die Kommunen, die Migranten aufnehmen, als auch für die Migranten selbst von Vorteil sind; die Erleichterung von Migrationsbewegungen innerhalb von Ländern; und schließlich die systematische Einbeziehung der Migration in die nationalen Entwicklungsstrategien.

Der Bericht geht am Rande auch auf die historische Dimension der Migration ein. Verglichen mit der Anzahl der Migranten aus Entwicklungsländern, die heute dauerhaft ihr Glück im Ausland suchen - weniger als drei Prozent der Gesamtbevölkerung - glich die Auswanderung aus Europa im 19. Jahrhundert einer Völkerwanderung. Damals wanderten im Laufe eines Jahrzehnts 14 Prozent der irischen Bevölkerung, ein Zehntel der Norweger und sieben Prozent der schwedischen und britischen Bevölkerung aus.

Die evangelische Hilfsaktion "Brot für die Welt" kritisierte, das Thema Klimawandel und die dadurch hervorgerufenen Migrationsbewegungen spielten in dem Bericht kaum eine Rolle. "Hier fehlen klare Vorschläge an die internationale Gemeinschaft, wie langfristig mit dieser Problematik umgegangen werden soll, dabei ist das Thema von großer Brisanz", sagt der Menschenrechtsexperte Michael Windfuhr. Verschiedene wissenschaftliche Studien gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 mehrere 100 Millionen Menschen aufgrund von Klimaveränderungen gezwungen sein werden, ihre Heimat zu verlassen.

UNDP: Bericht über die menschliche Entwicklung 2009: "Barrieren überwinden: Migration und menschliche Entwicklung"


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