tjnBerlin (epo.de). - Entwicklungsländer verlieren jedes Jahr weitaus mehr Geld durch Steuerflucht, als sie an Entwicklungshilfe erhalten. Wenige Tage vor dem Treffen der Finanzminister und Zentralbankchefs der G20 in Schottland hat das internationale Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network) in Berlin jetzt erstmals einen "Schattenfinanzindex" vorgestellt. Der Financial Secrecy Index (FSI) listet den US-Bundesstaat Delaware auf Platz eins der Steuer- und Verdunkelungsoasen, noch vor Luxemburg, der Schweiz und den Cayman Islands. G20-Gastgeber Großbritannien steht mit der City of London im FSI auf Platz fünf.

In zweijähriger Forschungsarbeit haben unabhängige Wissenschaftler und Steuerexperten systematisch die rechtlichen Rahmenbedingungen von 60 Schattenfinanzplätzen sowie deren jeweiliges Gewicht am globalen Finanzmarkt erhoben. Der so enstandene Index solle der Tatsache Rechnung tragen, dass geringe Transparenz - undurchlässiges Bankgeheimnis, fehlende Publizitätspflichten für Unternehmen, Verschleierung der Eigentumsverhältnisse von Stiftungen und Trusts - für Steueroasen inzwischen zu einem ebenso wichtigen Standortfaktor geworden sei wie die geringe Besteuerung, so das Netzwerk Steuergerechtigkeit.

"Mit diesem bislang einzigartigen Ansatz werden neben den üblichen Steueroasen in der Karibik und dem Pazifik jetzt auch die großen Finanzplätze in London und den USA in den Blick gerückt, die weltweit maßgeblich zu Steuer- und Kapitalflucht beitragen", erklärte Klaus Schilder von terre des hommes, der den Index am Montag gemeinsam mit MISEREOR und dem Global Policy Forum für das deutsche Netzwerk Steuergerechtigkeit in Berlin vorstellte. Die Hälfte der zehn Spitzenplätze des Rankings werden von europäischen Ländern eingenommen (Irland: Platz 6, Belgien: Platz 9). "Bezeichnenderweise hatten die deutschen Krisenbanken IKB und Sachsen LB ihre hochriskanten Geschäfte, mit denen sie in die Pleite rutschten, in Delaware und Irland angesiedelt", so Schilder.

Der FSI soll auch ein Gegenentwurf zu der Schwarzen und Grauen Liste der Steueroasen sein, die die OECD seit April im Auftrag der G20 erstellt. "Diese Steueroasenlisten sind ein stumpfes und von politischen Rücksichtnahmen gezeichnetes Werkzeug", sagte Jens Martens vom Global Policy Forum. "Dabei benötigen Regierungen und Finanzinstitute gerade nach den Erfahrungen der Finanzkrise dringend ein objektives Instrument, um die Risiken, die von Schattenfinanzplätzen ausgehen, einschätzen und möglichst schnell beseitigen zu können."

"Das OECD-Verfahren taugt bestenfalls zum Weißwaschen schmutziger Geschäfte", betonte Georg Stoll von MISEREOR. "Die öffentlichen Haushalte in Industrie- und Entwicklungsländern geraten immer tiefer in die roten Zahlen, während Armutsbekämpfung und Klimawandel gleichzeitig gigantische globale Kraftanstrengungen erfordern. Wie lange wollen die Regierungen unter diesen dramatischen Umständen einer jährlichen Steuerflucht von mehreren 100 Milliarden Euro noch zuschauen? Die G20 müssen sich endlich diesem Gerechtigkeitsproblem stellen."

"Der Schattenfinanzindex belegt eindrucksvoll, wie umfassend das Problem internationaler Steuerflucht und illegaler Finanztransaktionen ist", sagte Detlev von Larcher vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. "Wir fordern die Bundesregierung auf, sich beim G20-Finanzministertreffen Ende dieser Woche mit aller Macht für einzusetzen, dass die G20 sich vom OECD-Verfahren verabschiedet und endlich ein multilaterales Abkommen für den automatischem Austausch von Steuerinformationen beschließt." Die Steueroasenlisten der OECD seien ein von politischen Rücksichtnahmen gezeichnetes stumpfes Werkzeug und für eine objektive Bewertung der Schattenfinanzplätze vollkommen ungeeignet.

Das internationale Tax Justice Network ist ein Zusammenschluss von sozial- und entwicklungspolitischen sowie kirchlichen Organisationen sowie Wissenschaftlern. Es setzt sich für Reformen gegen Steuerflucht und missbräuchliche Steuervermeidung ein. In Deutschland wird es vom Netzwerk Steuergerechtigkeit vertreten.

Schattenfinanzindex FSI: www.financialsecrecyindex.com

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