Barbara Unmü??ig. Foto: HBS

Berlin (epo.de). - Die Entwicklungspolitik ist ins Gerede gekommen. Im "Bonner Aufruf" haben einige Entwicklungsexperten eine Radikalreform der Entwicklungshilfe gefordert, in Accra unterschrieben am Donnerstag mehr als 100 Delegationen zum Abschluss des "High Level Forum on Aid Effectiveness" eine Absichtserklärung zu mehr Transparenz und Kohärenz in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Vorstandsvorsitzende der Heinrich Böll Stiftung, Barbara Unmüßig, plädiert im Interview mit Entwicklungspolitik Online für eine differenzierte Sichtweise. Sie warnt vor einem zu großen Gewicht nichtstaatlicher Organisationen "im Umfeld fragiler Staatlichkeit" und hält "gar nichts" von der Übertragung der Verantwortlichkeit für bilaterale EZ-Projekte an die deutschen Botschaften im Ausland.

epo.de: Frau Unmüßig, in ihrem "Bonner Aufruf" für eine andere Entwicklungspolitik fordern Rupert Neudeck, Winfried Pinger und einige weitere Experten eine radikale Umkehr: die Kanalisierung der Entwicklungshilfe über nichtstaatliche Organisationen (NRO) "wo immer möglich" und eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis über bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf die deutschen Botschaften. Was ist davon zu halten?

Barbara Unmüßig: Die Entwickungszusammenarbeit hat immer unter Legitimationsdruck gestanden, seit es sie gibt. Ich finde das gut. Diese Kritik entbehrt allerdings absolut jeder Differenziertheit. Und die Vorschläge, die sie machen, sind an Schlichtheit nicht zu überbieten.

epo.de: Soll und kann die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) so umgestellt werden, dass sie nach Möglichkeit nur noch über zivilgesellschaftliche Gruppen und nichtstaatliche Organisationen kanalisiert wird? Die Bonner Experten wollen damit vor allem Korruption und Nepotismus ausschließen...

Barbara Unmüßig: Warum sollten NGOs jenseits der Kritik sein? Ich sehe vor allem eine Gefahr im Umfeld fragiler Staatlichkeit: Welche Rolle spielen externe NGOs, wenn sie staatliche Aufgaben wie zum Beispiel die Gesundheitsdienste voll übernehmen? Das sind Aufgaben des Staates, die man auch nicht aus der Pflicht nehmen soll und kann. In Afghanistan mit einer starken Präsenz externer NGOs fließen viele Gelder an staatlichen Stellen vorbei. Wo bleibt da der Aufbau lokaler und regionaler Strukturen des Staates? Die Geberkoordination funktioniert in Afghanistan nicht, Eigeninteressen der Geber werden nicht überwunden. Das ist ein Testfall für den Aufbau von Staaten.

epo.de: Soll die bilaterale EZ-Verantwortlichkeit an die deutschen Botschaften in Entwicklungsländern übergehen? Dort gibt es ja bereits vom BMZ entsandte Entwicklungsattachés...

Barbara Unmüßig: Ich halte davon gar nichts! Bisher haben sich die Botschaften um entwicklungspolitische Dienste nicht groß gekümmert. Die Entwicklungsattachés spielen keine Rolle, und das Auswärtige Amt kümmert sich vor allem um außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen. Die Vertretungen der GTZ und der KfW vor Ort sind wichtig, aber die vom Entwicklungsministerium seit langem angestrebte Fusion von KfW und GTZ für mehr Kohärenz ist erst einmal gescheitert. Das ist ein Armutszeugnis.

epo.de: Ist der "Bonner Aufruf" also eine Luftnummer?

Barbara Unmüßig:
Er ist ein Beispiel für Schlichtheit in der Argumentation. Etwas Selbstkritik wäre bei den Autoren des Aufrufs übrigens auch angebracht. Schließlich haben sie selbst 30 Jahre lang in der EZ gearbeitet, deren Versagen sie jetzt konstatieren.

Das Interview führte epo.de-Herausgeber Klaus Boldt.

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