Kambachsch. Foto: ROGBerlin (epo.de). - Der Oberste Gerichtshof Afghanistans hat die Verurteilung des Journalisten Sayed Perwisch Kambachsch zu 20 Jahren Haft wegen “Blasphemie” bestätigt. Das berichtete am Dienstag Reporter ohne Grenzen (ROG) in Berlin. Die Organisation ist “entsetzt”, denn wie erst jetzt bekannt wurde, fällte das Gericht die Entscheidung offenbar vor einem Monat, ohne den Verteidiger des Angeklagten anzuhören. Nach Informationen von ROG hat Kambachsch lediglich einen Artikel über die Rolle der Frau im Koran aus dem Internet heruntergeladen.

Ein Gericht in Masar-i Scharif, so ROG, hatte Kambachsch am 22. Januar 2008 zunächst zum Tode verurteilt. Am 21. Oktober 2008 wandelte ein Berufungsgericht in Kabul das Todesurteil in eine 20-jährige Gefängnisstrafe um. Kambachsch arbeitete neben seinem Journalistik-Studium als Reporter für die Tageszeitung Jahan-e-Naw ("The New World"). Er war am 27. Oktober 2007 festgenommen worden, weil er angeblich blasphemische und den Islam verleumdende Äußerungen verbreitet hatte.

ROG zufolge hat Kambachsch jedoch lediglich einen Artikel über die Rolle der Frau im Koran aus dem Internet heruntergeladen - in Übereinstimmung mit dem Recht auf Meinungsfreiheit, das in der afghanischen Verfassung festgeschrieben ist.

KEIN FAIRER PROZESS

"Zu keinem Zeitpunkt in diesem Verfahren konnte das afghanische Rechtssystem einen rechtmäßigen Prozess garantieren", kritisiert ROG. "Nach dem Verfahren in erster Instanz hinter verschlossenen Türen in Abwesenheit des Anwalts und nach Unregelmäßigkeiten während des Berufungsverfahrens hat der Oberste Gerichtshof nun ein sehr hartes Strafurteil aufrechterhalten - ohne nochmals den Anwalt des Angeklagten anzuhören. Dieses Urteil kommt um so überraschender, als dass keiner der von der Anklage zitierten Zeugen bestätigte, dass sie den angeblich blasphemischen Artikel aus den Händen von Kambachsch erhalten haben", so ROG.

Ein Kommilitone von Kambachsch, der diese Aussage während des Verfahrens in erster Instanz machte, habe seine Behauptung mittlerweile widerrufen. "Er sagte, dass er die Zeugenaussage unter Druck abgegeben hätte", so ROG.

ROG befürchtet nun, dass Kambachsch ins Pul-e Charkhi-Gefängnis in Kabul oder ins Gefängnis von Masar-i Scharif im Norden Afghanistans gebracht wird. In diesen Haftanstalten müsse der Journalist um sein Leben fürchten, da unter den Insassen viele Taliban seien. ROG appellierte an Präsident Hamid Karzai, von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen und Kambachsch unverzüglich frei zu lassen.

Kambachschs Anwalt, Mohammed Afsal Nuristani, erfuhr von dem Richterspruch, als er gerade dabei war, seinen Verteidigungsbrief einzureichen: "Ich war auf dem Weg zum Obersten Gerichtshof, um das Dokument vorzulegen. Vor Ort wurde ich darüber informiert, dass der Gerichtshof bereits vor einem Monat entschieden hätte, das Urteil von 20 Jahren Haft aufrechtzuerhalten, und dass der Fall bereits wieder zurück an den Staatsanwalt verwiesen worden sei. Wie können sie so eine Entscheidung treffen, ohne abzuwarten, was die Verteidigung zu sagen hat?", erklärte der Anwalt gegenüber ROG. Nuristani will sich dafür einsetzen, dass das Verfahren neu aufgerollt wird.

Der Bruder von Kambachsch, Sajed Jakub Ibrahimi, selbst Journalist, erklärte gegenüber ROG: "Wir haben gedacht, dass bei der höchsten juristischen Instanz mehr Gerechtigkeit herrschen würde. Aber diese in Stille gefasste Entscheidung lässt befürchten, dass es im ganzen Land keine Gerechtigkeit gibt."

Als ROG-Vertreter Kambachsch im provisorischen Gefangenenlager von Kabul im Januar besuchten, beharrte der Journalist auf seiner Unschuld: "Ich habe von Anfang an erklärt, dass ich unschuldig bin. Nach dem Gesetz und der Verfassung habe ich keine Straftat begangen. Keines der beiden Gerichte bewies meine Schuld. Ich wurde nur auf Druck von bestimmten Personen hin verurteilt, nicht aufgrund der Gesetze."

ROG hat eine Petition für die Freilassung von Sayed Perwiz Kambachsch an den afghanischen Präsidenten in die Wege geleitet.

www.reporter-ohne-grenzen.de

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